CDU-Chefin AKK: „Wünsche mir Transit-Lösung ohne Gerichte“
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hält nicht viel von einer Klage Deutschlands wegen der Fahrverbote in Tirol. Europa wünschte sie sich mautfrei. Die AfD macht sie mitverantwortlich für den Aufwind Rechtsextremer.
Rechtzeitig zum Start der Urlaubs- und Stausaison knirscht es beim Thema Verkehr vernehmlich zwischen Deutschland und Österreich. Unterstützen Sie die angekündigte Klage des Bundesverkehrsministers gegen die Beschränkungen im Transitverkehr in Tirol?
Annegret Kramp-Karrenbauer: Das Verkehrsministerium in Berlin prüft derzeit eine Klage. Ich würde mir wünschen, dass wir im Sinne guter Nachbarschaft keine Gerichte benötigen werden, um zu einer Lösung zu kommen. Das ist gerade für Grenzregionen wichtig.
Apropos Verkehr: Kürzlich hat der Europäische Gerichtshof die deutsche Pkw-Maut gekippt. Ist das Thema damit erledigt – oder nimmt man einen neuen Anlauf?
Kramp-Karrenbauer: In den kommenden Monaten muss erst einmal geklärt werden, welche Folgen dieses Urteil hat. Auch für Verträge, die unter anderem auch mit österreichischen Firmen eingegangen worden sind.
Ist für Sie eine europäische Mautlösung vorstellbar?
Kramp-Karrenbauer: In Deutschland kommen wir ohne Maut aus – das ist mir natürlich das liebste System. Und das wäre auch mein Wunsch für Europa. Ich akzeptiere aber, dass andere EU-Staaten andere Modelle zur Straßenfinanzierung haben.
Sie haben kürzlich gesagt, dass die „Kosten für die heutige Lebens- und Wirtschaftsweise heute eingepreist und bezahlt werden“ müssten. Der Kohleausstieg ist allerdings erst für das Jahr 2038 vorgesehen. Ist das nicht ein Widerspruch?
Kramp-Karrenbauer: Nein. Der Satz bringt zum Ausdruck, dass wir generell, nicht nur mit Blick auf die Kohle, zu einer geänderten Wirtschafts- und Lebensweise kommen müssen, wenn wir nicht länger auf Kosten der Natur und kommender Generationen wirtschaften wollen. Der Kohleausstieg ist für 2038 in einem breiten gesellschaftlichen Konsens ausgehandelt worden ...
… das ist aber kein Heute.
Kramp-Karrenbauer: Aus meiner Sicht ist das ein Heute, das vertretbar ist – und zwar mit Blick auf die wirtschaftliche und soziale Situation. Die Bundesregierung wird im September ein Klimaschutzpaket politisch vereinbaren. Es soll einerseits sicherstellen, dass wir unsere Klimaziele 2030 erreichen können. Und es soll andererseits vor allem aber sicherstellen, dass Deutschland als Industriestandort nicht gefährdet wird, und es muss sozial ausgewogen sein. Das sind die großen Parameter – und die Debatten laufen jetzt. Dazu kommt: Es ist für Deutschland als hochindustrialisiertes Land natürlich auch eine besondere Herausforderung, parallel aus der Atomenergie und aus der Kohle auszusteigen.
Hat Sie die Wucht des Klimathemas überrascht?
Kramp-Karrenbauer: Es ist gut, dass ein hoher gesellschaftlicher und politischer Wille besteht, hier etwas zu bewegen. Wir haben zwar vieles auf den Weg gebracht, es aber noch nicht so konkretisiert, dass die Bürger schon überzeugt sind, in Sachen Klimaschutz sei alles auf dem richtigen Weg.
Die CDU verliert nach zwei Richtungen – zu den Grünen und in Richtung der AfD. Wie schafft die CDU diesen schwierigen Spagat?
Kramp-Karrenbauer: Indem wir mit Blick auf die wichtigen Themen, bei denen wir im Moment verloren haben, eben unsere eigenen Antworten geben. Etwa für diejenigen, die sich klare Antworten beim Klimaschutz wünschen und dabei die wirtschaftliche Vernunft nicht außer Acht lassen wollen.
Bringt die Abgrenzung zur AfD der CDU Wähler zurück?
Kramp-Karrenbauer: Es gibt eine ganz klare Trennlinie zur AfD. Es wird keine Zusammenarbeit geben – auch nicht nach den drei Landtagswahlen im Herbst in Ostdeutschland. Wir erleben gerade eine sehr einschneidende Zeit: Zum ersten Mal seit 1945 wurde ein Politiker in Deutschland von einem Rechtsextremisten ermordet. Und das hat etwas mit dem öffentlichen Klima in Deutschland zu tun, an dem die AfD ihren negativen Anteil hat. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns nicht um die Themen, die die AfD-Wähler umtreiben, kümmern.
Würden Sie sich diese Trennlinie auch für Österreich wünschen – zwischen ÖVP und FPÖ?
Kramp-Karrenbauer: Ich gebe grundsätzlich keine Empfehlungen, wie jemand Politik im jeweiligen eigenen Land machen soll. Ich will mit Blick auf die FPÖ nur sagen: Es ist das passiert, was bei rechtspopulistischen Parteien passiert. Es gibt ein gewisses bürgerliches Mäntelchen. Und wenn das weggezogen ist, dann stellt man fest, dass diese Parteien im Kern alle den gleichen Charakter haben. Ich fand sehr richtig, dass Sebastian Kurz die Koalition mit der FPÖ nach dem „Ibiza-Video“ aufgekündigt hat.
Die ÖVP hat bei der EU-Wahl kräftig zugelegt, die CDU hat stark verloren. Was kann sich die CDU von Sebastian Kurz abschauen?
Kramp-Karrenbauer: Beide Wahlergebnisse hatten jeweils auch nationale Ursachen. Was man aber grundsätzlich von Österreich abschauen kann, sind die Reformen – Entbürokratisierung, öffentliche Dienstleistung, Digital-Agenda und Entlastung von Unternehmen.
In der Migrationspolitik gibt es aber Differenzen zwischen den Schwesterparteien CDU und ÖVP?
Kramp-Karrenbauer: Die Grenze 2015 nicht zu schließen, war auch eine Entscheidung der Solidarität mit Ungarn und Österreich. Hätten wir die Grenze geschlossen, hätten sich die Menschen zwischen geschlossenen Grenzen hin- und herbewegt. Daher stehe ich zu dieser Entscheidung. Wir sind uns vollkommen einig: 2015 ist passiert, weil eine europäische Migrationspolitik nicht funktioniert hat. Daher müssen wir etwa beim Schutz der Außengrenzen weiterkommen. Schaffen wir das nicht, bleiben wir in der Debatte „Wer macht was national?“ hängen. Macht man das auf Dauer, dann gefährdet man den Schengenraum. Und der Schengenraum ist die Grundlage schlechthin für unseren Binnenmarkt. Und davon profitiert Österreich genauso wie Deutschland.
War rückblickend die Ämtertrennung – Sie als Parteivorsitzende, Angela Merkel als Kanzlerin – ein Fehler?
Kramp-Karrenbauer: Tradition in der CDU war bisher, dass wir die Ämter in einer Hand halten. Denn sobald die Ämter getrennt werden, gibt es Spielraum für Interpretationen, jedes Wort wird gegen jedes Wort abgewogen. Und das schafft natürlich Unruhe in einer Partei. Klar ist daher, dass es die Ausnahme bleiben muss. Und nach einer nächsten Bundestagswahl müssen die Ämter auch wieder in einer Hand sein.
Haben Sie persönliche Fehler gemacht?
Kramp-Karrenbauer: Ganz sicher. Fakt ist aber auch, dass die CDU vieles besser machen muss – programmatisch, von der personellen Aufstellung her und bei der Art und Weise, wie sie arbeitet. Das haben wir in den vergangenen Monaten nicht so konsequent und intensiv vorangetrieben, wie ich mir das ursprünglich persönlich vorgenommen habe. Daher müssen wir es eben jetzt umso schneller machen. Aber: Wenn Sie einen Sommer 2018 erleben, wo Sie wirklich in einer historischen Situation vor einer Spaltung der Unionsparteien CDU und CSU stehen … – da standen dann eben andere Themen im Vordergrund.
Gehen Sie davon aus, dass die nächste Wahl regulär 2021 stattfinden und die Große Koalition bis dahin halten wird?
Kramp-Karrenbauer: Wenn es nach uns geht, ja.
In Deutschland war eine Große Koalition früher stets die Ausnahme – jetzt ist sie eher die Regel. Soll es nach der nächsten Wahl wieder dieses Bündnis geben?
Kramp-Karrenbauer: Eine Große Koalition muss man sehr nüchtern betrachten. Sie macht dann Sinn, wenn sie sich um große Themen kümmert – und nicht kleinster gemeinsamer Nenner ist. Wie eine nächste Regierung aussieht, kann man allerdings erst nach Vorliegen eines Wahlergebnisses sagen.
Das Gespräch führten die Bundesländerzeitungen (TT, Die Presse, SN, OÖN, Kleine). Für die Tiroler Tageszeitung stellte die Fragen Gabriele Starck.