Bewusstseinsstrom des Begehrens
Joseph Zoderers neuer Roman „Der Irrtum des Glücks“.
Von Joachim Leitner
Innsbruck –In seinen besten Werken verstand es Joseph Zoderer immer wieder, den verallgemeinerbaren Kern ganz konkreter Erfahrungen herauszuarbeiten, ihn herauszuerzählen. Ausgehend vom Alltäglichen, vom bisweilen Banalen, nähert sich Zoderer großen Themen; Themen, die zu groß sind für simple Erzählstrategien und einfältige Plotmechaniken: dem Fremdeln im Vertrauten zum Beispiel. Oder der Frage, was man über einen Menschen, den man zu kennen glaubt, eigentlich wirklich weiß. Oder der Kränkung, dass alles Existieren endlich ist. Zoderers Beharren, dass auch das Einfache ungeheuerlich und ungeheuer vertrackt sein kann, wenn man es mit der nötigen Sensibilität und Sorgfalt hinterfragt, macht den 1935 in Meran geborenen und in Bruneck lebenden Autor zu einem der großen Vertreter der deutschsprachigen Nachkriegsmoderne. Sein Mut zu Sentiment und Innerlichkeit hingegen hat dafür gesorgt, dass er in Zeiten strahlender Oberflächen und Reißbrettreißern wie ein Auslaufmodell wirkt, der Veteran eines Damals, als Literatur nicht nur, aber auch, eine verdammt ernste Sache war – und mit existenziellem Ernst verhandelt werden wollte.
Anfang Juli ist Zoderers neuer Roman „Der Irrtum des Glücks“ erschienen. Schon der Titel gemahnt – wohl nicht von ungefähr – an „Das Glück beim Händewaschen“, mit dem Zoderer 1976 als Romanautor debütierte. Damals war es ein Heranwachsender, der in einem Schweizer Internat die widerständige Kraft der Liebe entdeckte. Jetzt ist es ein – wie es zunächst heißt – „lebensfreudiger Mittsiebziger“, der schreibend versucht, sich selbst diese „Wahnsinnsliebe“ zu erklären, die ihn – wie es Liebe bisweilen macht – quasi aus dem Nichts komplett aus der Bahn wirft. Dass die Beziehung, in die sich dieser Alexander stürzt, eine unwahrscheinliche ist, steht außer Frage: Er, der „Kopfmensch par excellence“ hat sich im Ruhestand ein- und sein Leben aufs Ableben ausgerichtet. Sie, die als zentrale Randfigur ein namenloses „Du“ bleibt, ist Mitte vierzig, eigentlich glücklich verheiratet und Mutter. Trotzdem ist alles da: der überdrehte Übermut des Verliebtseins, die ungestüme Unschuld, das nächtliche Zweifeln, die Abenteuer- und die Fleischeslust – und die Angst, dass alles Glück auch Trugbild sein könnte.
In erratischen Zeilen bringt Alexander seine Zustände zu Papier, ertappt sich selbst beim Schönlügen und Schwarzmalen seiner „Amour Fou“, sinniert, schimpft, schwärmt und schwafelt.
Im Grunde ist „Der Irrtum des Glücks“ mal fahrig, mal furios um sich selbst gezwirbelter Bewusstseinsstrom aus fragmentarisch Notiertem und hochverdichteten Kürzesterzählungen: lakonisch, zornig, bisweilen eitel, trotzdem schonungslos offen. Und es ist ein ungeschönt konsequentes, ja erschreckendes Buch über – zugegeben durch und durch männliches – Begehren.
Roman Joseph Zoderer: Der Irrtum des Glücks. Haymon, 180 Seiten, 19,90 Euro.