Zeichen auf Von der Leyen als Kommissionspräsidentin
Im EU-Postenpoker will Ratspräsident Donald Tusk Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) als Kommissionspräsidentin vorschlagen. Dies erfuhr die dpa am Dienstag aus Verhandlungskreisen. Der EU-Sondergipfel startete mit fünfstündiger Verspätung um 16.00 Uhr, hieß es in Brüssel. Von der Leyen wäre die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission.
Damit würde eindeutig das System der Spitzenkandidaten gekillt, das erst einmal zur Geltung kam. Ursprünglich hätte ja zumindest einer der beiden Spitzenkandidaten - für die EVP der Gewinner Manfred Weber oder für die Sozialdemokraten Frans Timmermans - für die EU-Wahlen Kommissionspräsident werden sollen. Das Europaparlament beharrte auch darauf und drohte andernfalls den Staaten, bei einem anderen Kandidaten nicht zuzustimmen. Das wäre nun mit Von der Leyen der Fall.
In der EU gab es positives Echo auf den Vorschlag Von der Leyen. Ein Sprecher von Ungarns Regierungschef Viktor Orban schrieb am Dienstag auf Twitter, die vier osteuropäischen Visegrad-Staaten unterstützten den Plan. Auch Italien signalisierte Zustimmung. Der EU-Gipfel begann nach intensiven Vorgesprächen in Brüssel mit mehr als fünf Stunden Verspätung.
Laut EU-Diplomaten hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron von der Leyen ins Gespräch gebracht, um doch noch eine Einigung zu ermöglichen. Merkel sagte bei ihrem Eintreffen zum dritten Gipfeltag, die EU werde „mit neuer Kreativität an die Arbeit gehen“.
Für den Leiter der SPÖ-EU-Delegation Andreas Schieder ist Von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin „ein schlechter Vorschlag“. Sie sei „weder Spitzenkandidatin noch überhaupt Kandidatin“ gewesen und daher „nicht zu akzeptieren“, berichtete Schieder am frühen Dienstagabend in Straßburg.
Innerhalb der sozialdemokratischen Parteienfamilie (S&D) sei die Meinung „relativ einheitlich“ gewesen, so der SPÖ-Politiker im Anschluss an ein Treffen der Delegationsleiter. Der Vorschlag sei eine „totale Abkehr vom Spitzenkandidatensystem“, das von mehreren Europaparlamentsfraktionen unterstützt wurde, und habe „gar nichts mit den EU-Wahlen“ zu tun.
Auch der Vorsitzende der europäischen Grünen, Reinhard Bütikofer, kritisierte den Vorschlag. Er schrieb ironisch auf Twitter, von der Leyen nach Brüssel zu schicken sei „eine sehr gute Lösung“ Aber nur „für die Bundeswehr“. Im Verteidigungsministerium hatte von der Leyen zuletzt mit einer Reihe von Affären zu kämpfen.
„Sehr klares Nein, Mehrheit nicht bereit, den derzeitigen Deal über EU-Topjobs zu unterstützen“, twittert die stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokraten im europäischen Parlament, Tanja Fajon. Auch SPE-Generalsekretär Achim Post äußert sich im Reuters-Gespräch kritisch.
Der frühere SPD-Chef und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat scharf kritisiert, das Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Chefin der EU-Kommission werden könnte. „Ursula von der Leyen ist die schwächste Ministerin der Bundesregierung“, sagte er dem „Spiegel“. „Eine derartige Leistung reicht offenbar, um Kommissionschefin zu werden.“ Wenn er sich anschaue, „mit welchen Argumenten gegen die Qualifikation von (Frans) Timmermans und Manfred Weber für dieses Amt geschossen wurde, kann man sich im Fall von der Leyen nur an den Kopf fassen“, so Schulz.
Schulz sprach von einem „Sieg von Viktor Orbán und den Osteuropäern“. „Sie haben Frans Timmermans verhindert, der für die Rechtsstaatlichkeitsprinzipien in der EU steht.“ Der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann hält von der Leyen für „nicht akzeptabel“.
Die ursprüngliche Variante vom Montag - Timmermans als Kommissionspräsident und Weber als Parlamentspräsident - wurde vor allem wegen des niederländischen Sozialdemokraten und seiner kritischen Haltung gegenüber Ungarn und Polen in Justizfragen von mehreren osteuropäischen EU-Ländern und auch Italien verworfen.
Abgesehen von der konservativen Politikerin Von der Leyen tauchten im Lauf des Tages weitere neue Namen auf, die Teil des Personalpakets sein sollen. Nach Angaben von Diplomaten sei der liberale belgische Ministerpräsident Charles Michel für den Posten des EU-Ratspräsidenten vorgesehen. Als Anwärter für den EU-Außenbeauftragten zirkulierten zuletzt die beiden Sozialisten Josep Borrell und Maros Sefcovic. Der Slowake Sefcovic hat aktuell die Funktion eines EU-Vizekommissionspräsidenten inne, Borrell ist derzeit spanischer Außenminister. Er wurde am Dienstagnachmittag neben EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber auch als Parlamentspräsident gehandelt. Die aus Frankreich stammende IWF-Chefin Christine Lagarde soll die Führung der EZB übernehmen.
Damit wären zumindest zwei Frauen unter den fünf EU-Spitzenpositionen. Österreichs Kanzlerin Brigitte Bierlein hatte ja mehrmals neben einer Ausgewogenheit auch die Genderfrage ins Spiel gebracht.
Trotz mehrfacher Verschiebung will der Rat spätestens am Abend zu einer Lösung kommen. Denn um 22.00 Uhr endet die Frist für jene Kandidaten, die sich für die Funktion des EU-Parlamentspräsidenten bewerben. Dieser wird am Mittwoch gewählt. Der Sondergipfel zur Vergabe der EU-Topjobs hatte bereits am Sonntagabend begonnen und wurde Montagmittag mangels Erfolgs auf Dienstag vertagt.