TT-Interview

Dunkelheit, die uns erfasst: Autor Tom Kummer im TT-Interview

Schriftsteller Tom Kummer lebte viele Jahre in Los Angeles. 2016 ist er in die Schweiz zurückgekehrt.
© Tamerl

Tom Kummer hat beim Bachmann-Wettbewerb einen eindringlichen Text präsentiert, aber keinen Preis gewonnen. Ein Gespräch mit dem Autor, der einmal Skandal-Journalist war.

Innsbruck, Klagenfurt — Eindrückliche Bilder, starke Emotionen. Das zeichnet die Literatur des Schweizer Autors Tom Kummer aus, der kürzlich beim Bachmann-Wettbewerb seinen Text „Von schlechten Eltern" präsentierte. Plötzlich umklammerten viele Zuhörer nicht mehr den Ausdruck des Textes, sondern hörten einfach nur zu. Trotzdem hat Kummer, der einst als Journalist mit erfundenen Interviews einen Medienskandal produzierte, keinen Preis gewonnen. Die TT hat mit dem Schweizer im Rahmen des Wettbewerbs in Klagenfurt gesprochen.

Ihr Text zum Bachmann- Wettbewerb handelt von einem Mann, der VIPs durch die Nacht fährt. Am Beginn heißt es: „Im Kopf fahre ich, wohin ich will." Wohin wollen Sie fahren?

Tom Kummer: Diese Figur, dieses Ich, reist in seine Innenwelt. Diese wiederum wird von einer toten Frau beeinflusst. Das Schöne an der Konstellation des Fahrers ist, dass dieses Auto ein abgeschlossener Raum ist, an dem die Landschaft vorbeigleitet. Das ist die eine Realität. Real ist aber auch der Fahrgast, der hinten sitzt. Es geht um ein Doppelleben, dass man eben im Realen auch sein Innenleben zelebrieren kann.

Der Text wird von der Trauer des Fahrers um seine verstorbene Frau dominiert. Es entsteht der Eindruck, als hätten Sie eine Fortsetzung von „Nina & Tom" (Blumenbar) geschrieben. Der Roman handelt vom Tod Ihrer Frau.

Kummer: Ich stehe sehr stark unter dem Einfluss meiner toten Frau. Ich habe bei diesem Text sehr klassisch gearbeitet, im Sinne der griechischen Tragödie, denn das Totenreich hat eine große Macht über uns Lebende. Wenn man zu einem Menschen eine so enge Beziehung aufgebaut hat, dann kann es unmöglich werden, weiterzuleben, wenn dieser Liebende nicht mehr existiert. Diese Art zu schreiben, ist für mich eine Möglichkeit, über die Trauer nachzudenken.

Beschreiben Sie das Verhältnis des Ich-Erzählers zu Ihnen als Autor.

Kummer: Ich finde die Fragen „Was ist echt?", „Was ist wahr?", „Wer ist Tom Kummer?" uninteressant. Wichtig ist, was Tom Kummer aus seiner Haut und seiner Position macht. Ich als Realperson spiele nicht so eine große Rolle. Für mich als Autor ist entscheidender, was ich aus meiner wahrgenommenen Realität mache.

Sie haben über zwanzig Jahre lang mit Ihrer Frau Nina und Ihren beiden Söhnen in Los Angeles gelebt. Nach dem Tod Ihrer Frau sind Sie in die Schweiz zurückgekehrt. Wie geht es Ihnen heute dort?

Kummer: Die Realität ist die: Ich konnte ohne meine Frau nicht mehr in Kalifornien leben. Ich suche in Bern ein Exil, einen Ort, der mir Zuflucht gibt. Ich hoffe auf Erlösung, aber die stellt sich nicht ein. Ich werde von meiner verstorbenen Frau in Gedanken dominiert.

Ihr Text ist in eine tiefe Dunkelheit getaucht. Warum?

Kummer: Dieser Fahrer erträgt die Schweiz bei Tag nicht. Da die Schweizer ja sehr gerne früh ins Bett gehen (lacht), wird die Schweiz sehr ruhig nach Mitternacht. Ich versuche einen Raum zu stilisieren, der durch die leergefegten Straßen eine Ausgangssperre andeutet. Das gibt mir die Möglichkeit, in diese Innenwelt einzusteigen, die sich gleichzeitig auch nach außen hin verändert.

Wie muss man sich Ihren Lebensalltag in Bern vorstellen?

Kummer: Ich arbeite als Fahrer für ein Botschaftslimousinen-Service. Meine Fahrten bekommen in meiner Literatur aber einen ganz anderen Inhalt. Der Bachmann-Text ist ein Kapitel meines Romans, an dem ich gerade schreibe und der im Frühjahr 2020 im Tropen-Verlag erscheinen wird.

Sie haben in Klagenfurt keinen Preis gewonnen. In dem Artikel von Christoph Schröder in der Wochenzeitung „Die Zeit" heißt es: „Vor 15 Jahren hätte Kummer mindestens den Publikumspreis mitgenommen." Wie sehen Sie das?

Kummer: Womöglich traf mein Text die Jury mit einer Wucht, mit der sie nicht klarkam. Da spricht ein Protagonist, der es eben auch wagt, in die eigene Niedertracht zu blicken und seine Ambivalenz zu offenbaren. In meinem Trauertext steckt die ganze Freiheit der Literatur — nämlich für die Leser die Grenzen der Wahrnehmung zu sprengen und dabei in tiefere Wahrheiten vorzustoßen.

Sie haben vor 26 Jahren einen Medienskandal produziert. Sie haben Interviews, beispielsweise mit Sharon Stone, frei erfunden. Wie stehen Sie aus heutiger Sicht dazu?

Kummer: Na ja, das kann man nachlesen. Es gibt Interviews dazu, Bücher, auch einen Film. Der Journalismus hat sich sehr gewandelt. Ich finde es richtig, wenn Leser die Wahrheit einfordern.

Wie haben Sie die Zeit damals als Journalist erlebt?

Kummer: Ich war von 1988 bis 2000 als Journalist tätig. Es war die Zeit, in der man versucht hat, einen neuen, einen erzählerischen Journalismus zu etablieren. Meine literarischen Interviews waren damals sehr gefragt.

Warum sind Sie nicht von Anfang an Schriftsteller geworden?

Kummer: Ich wurde von den hervorragenden Bedingungen im Journalismus verführt, aber im Grunde genommen habe ich nichts anderes gemacht als Literatur. Ich hätte bei der Literatur bleiben sollen, aber ich war ein junger Autor und wurde mit Angeboten überschüttet.

Was haben Sie gedacht, als die gefälschten Reportagen von Claas Relotius ans Tageslicht gekommen sind?

Kummer: Ich habe in Interviews versucht, den Unterschied zu erklären. Relotius hat politische Reportagen geschrieben. Ich hingegen war in Hollywood unterwegs. Meine Figuren waren per se schon fiktiv.

Wie geht es Ihnen heute in Ihrer Rolle als Autor?

Kummer: Sich zurückzuarbeiten und den Respekt zu bekommen, war nicht leicht. Als Autor fühle ich mich aber freier. Ich will meine Leser aufwühlen, Emotion erzeugen, Erschütterung. Mit meiner Literatur will ich formale Grenzen sprengen. Dieses Punk-Element, diese Energie habe ich noch heute in mir.

Das Gespräch führte Gerlinde Tamerl