Gemischte Reaktionen auf von der Leyens Nominierung

Die Nominierung der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin sorgt für gemischte Reaktionen. Während Estland, Lettland, Litauen und Polen die Nominierung der CDU-Politikerin begrüßten, stieß sie bei den EU-Delegationen der SPÖ, Grünen und NEOS auf wenig Gegenliebe. Auch der ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas äußerte sich kritisch.

Von der Leyen wurde bisher nur von den Staats- und Regierungschefs als neue Kommissionspräsidentin nominiert und benötigt die Zustimmung des Parlaments, um den EU-Chefposten übernehmen zu können. Ob es ihr gelingt, die Abgeordneten auf ihre Seite zu ziehen, ist bisher unklar.

Die Regierungen in Tallinn, Riga und Vilnius äußerten unterdessen am Mittwoch ihre Unterstützung für von der Leyen. Betont wurde dabei vor allem ihre pro-europäische Haltung und ihre Rolle bei der Stärkung der Sicherheit der drei EU- und NATO-Staaten im Nordosten Europas. „Eine starke Kandidatur und eine gute Wahl, die Europa stärker machen wird!“, schrieb der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins auf Twitter. Von der Leyen setze sich aktiv für die Sicherheit der baltischen Staaten ein. Sein estnischer Amtskollege Jüri Ratas erklärte: „Ich bin mir sicher, dass Ursula von der Leyen ein Team fähiger Kommissare bilden wird, die sich für die wichtigen Ziele der Europäischen Union einsetzen werden.“

„Wir kennen die deutsche Verteidigungsministerin gut, und sie ist gut für Litauen und hat sehr zur Entstehung eines von Deutschland angeführten Bataillons beigetragen“, sagte Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite der Agentur BNS zufolge. Auch Verteidigungsminister Raimundas Karoblis verwies auf von der Leyens Führungsstärke beim Aufbau des NATO-Gefechtsverbands in dem Baltenstaat. „Ich glaube, dass sie sich keine Illusionen über Russland macht“, fügte er hinzu.

Auch Polens Außenminister Jacek Czaputowicz begrüßte die Nominierung der deutschen Verteidigungsministerin als neue EU-Kommissionspräsidentin. „Ich denke, das ist eine gute Wahl“, wurde er am Mittwoch von der Agentur PAP zitiert. Sie sei eine erfahrene Politikerin und sehr konziliante Person, die positive Emotionen wecke und umgänglich sei, sagte Czaputowicz.

„Das wird sicher ein Vorteil sein, denn als Kommissionschefin wird sie bei ihrer Arbeit verschiedene Perspektiven verschiedener Länder und Fraktionen vereinen müssen.“ Czaputowicz sagte zu der Nominierung weiter, Polen und die Länder der Region hätten bewiesen, dass man ihnen EU-Personalentscheidungen, hinter denen programmatische und politische Lösungen stünden, nicht aufzwingen könne.

Polen und die Partner der Visegrad-Gruppe, Ungarn, Tschechien und die Slowakei, hatten die Kandidatur des niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans für das Amt des Kommissionspräsidenten entschieden abgelehnt. Warschaus nationalkonservative Regierung, die von der Partei Recht und Gerechtigkeit PiS geführt wird, fühlt sich im langjährigen Streit um die Unabhängigkeit der Justiz von dem Niederländer ungerecht behandelt. Als Vize-Kommissionspräsident war Timmermans unter anderem für das Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen zuständig.

Der Leiter der ÖVP-EU-Delegation, Othmar Karas, kritisierte indes die Vorgehensweise, durch die das Personalpaket für die Besetzung der EU-Spitzenpositionen zustande gekommen ist, scharf. „Die Ignoranz gegenüber dem Spitzenkandidaten-Prozess, der 2014 erreichten Stärkung des Europaparlaments und damit der Europäischen Demokratie ist unentschuldbar“, hieß es in einer Stellungnahme am Mittwoch.

Das Verfahren im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs der EU löse im Europaparlament „Enttäuschung und Unbehagen“ aus, teilte Karas mit. „Es ist ein Rückschlag“, lautet seine Einschätzung. „Für mich ist und bleibt die Idee Europa größer und mehr als Parteipolitik.“

Die „unglaubliche Allianz“ des französischen Staatschefs Emmanuel Macron, dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban und den Visegrad-Staaten habe das Spitzenkandidaten-System 2019 zu Fall gebracht und damit stark beschädigt. „Dieses Vorgehen darf kein Präzedenzfall für die Zukunft sein“, erklärte Karas.

Karas‘ Stellvertreterin Karoline Edtstadler teilte mit, dass es „zwar bedauerlich“ sei, dass das die EU-Staats- und Regierungschefs das Spitzenkandidatensystem „einfach übergangen“ hätten. Das Paket hält Edtstadler aber für „ausgewogen“ und begrüßte, dass zwei Frauen „erstmals die wichtigsten Spitzenpositionen in Europa besetzen“. Die ehemalige Staatssekretärin gratulierte von der Leyen und Lagarde, der als Präsidentin der Europäischen Zentralbank vorgesehenen französischen Chefin des Internationalen Währungsfonds.

Edstadlers Ansicht nach habe die EU mit dem Personalpaket Handlungsfähigkeit bewiesen und „dem Wahlergebnis Rechnung getragen, denn es wäre völlig inakzeptabel gewesen, dass ein Vertreter der Wahlverlierer die Geschicke der Kommission leitete“. Die Europäische Volkspartei (EVP) war bei der EU-Wahl mit 182 Parlamentssitzen stärkste Fraktion geworden, die Sozialdemokraten (S&D) folgen mit 154 Sitzen auf Platz zwei. „Wir unterstützen Ursula von der Leyen und freuen uns auf die gute Zusammenarbeit für ein demokratischeres und bürgernäheres Europa.“

Bei den österreichischen Europadelegationen der SPÖ, Grünen und NEOS stößt das vom EU-Rat vorgeschlagene Personalpaket für die Besetzung der EU-Topjobs unterdessen auf wenig Gegenliebe. SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder sieht den Rückzug von EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber als möglicher EU-Kommissionschef als „konsequent“ an, da ihm die Unterstützung „an allen Ecken und Enden“ fehle.

Das Paket, das die deutsche Verteidigungsministerin von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin vorsieht, sei allerdings inakzeptabel und die SPÖ werde diesem Deal nicht zustimmen, hieß es in einer der APA übermittelten Stellungnahme. Die „Abkehr vom Spitzenkandidaten-Prinzip“ bezeichnete Schieder als einen „großen Fehler“.

„Wer sich gegen dieses System stellt, ignoriert dass die EU-Wahlen einen Einfluss auf die europäische Geschichte haben“, so der SPÖ-Politiker. „Es ist ein fatales Zeichen, wenn den Europafeinden, die die europäische Grundrechte schrittweise zerstören, nun nachgegeben wird“, wiederholte er in Hinblick auf die gegen den niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans eingestellten Visegrad-Staaten. Timmermans war zuvor als EU-Kommissionschef zur Diskussion gestanden war.

Schieder kündigte Widerstand des EU-Parlaments gegen das Personalpaket an. Für die Besetzung des Chefsessels der EU-Kommission wird von den europäischen Staats- und Regierungschefs ein Kandidat vorgeschlagen, der jedoch die Zustimmung des EU-Parlaments finden muss.

Die Vorsitzende der grünen Delegation im Europäischen Parlament Monika Vana sieht das Verhalten der EU-Regierungschefs ebenfalls als „inakzeptabel“ an und rief das Europaparlament zu einem „starken Signal“ auf. Ein solches wäre die Wahl der Grünen Spitzenkandidatin Ska Keller zur Präsidentin des Europaparlaments.

Auch für NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon war das Prozedere „ein unwürdiges und undemokratisches Schauspiel“. „Das Parlament bestimmt die oder den nächsten Kommissionspräsidenten und werden diese Rolle auch ernst nehmen“, kündigte sie an. „Taktiererei sowie intransparente Machtspielchen im Hinterzimmer“ seien „eindeutig der falsche Weg“ und tuen dem Ansehen der Europäischen Union nicht gut.

Gegenwind für von der Leyen kommt auch von den deutschen Sozialdemokraten. Die deutsche SPD-Spitzenkandidatin für die Europa-Wahl, Katarina Barley, lehnte von der Leyen als Kommissionspräsidentin ab. „Zumindest in meiner Fraktion werden viele gegen diesen Vorschlag stimmen“, sagte sie im ZDF. Die deutsche Ministerin sei in Europa kaum bekannt. Zu ihrer früher erklärten Absicht, Vizepräsidentin im EU-Parlament zu werden, äußerte sich Barley ausweichend: „Das steht im Moment nicht im Vordergrund.“

Auf die Arbeit von der Leyens als Verteidigungsministerin nahm die friedenspolitische Sprecherin der Delegation der deutschen Linken Özlem Alev Demirel Bezug. Sie sieht diese als „leider bestens qualifiziert“ an, da sich die EU-Kommission vorhabe, „im Militärbereich künftig eine deutlich prominentere Rolle zu spielen als bislang“, hieß es in einer Aussendung. Von der Leyens Ziel ist es nach Einschätzung von Demirel, die EU zu einer Rüstungsunion umzubauen. Die deutsche Verteidigungsministerin sei friedenspolitisch ein „böses Omen“ für die kommenden Jahre.

Der österreichische EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn übernimmt unterdessen vorübergehend auch die Regionalpolitik in der EU-Kommission. Die Entscheidung von Präsident Jean-Claude Juncker teilte die Kommission am Mittwoch in Brüssel mit. Bisher verantwortete Corina Cretu die Regional-Agenden. Die Rumänin hat allerdings ihr Mandat im neu gewählten EU-Parlament angenommen.

Für Hahn - seit 2014 für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen zuständig - ist die Regionalpolitik kein neues Terrain. Er hatte das Ressort bereits von 2010 bis 2014 verantwortet. Deshalb verfüge er „über alle erforderlichen Kenntnisse und Kontakte, um dieses Ressort vorübergehend leiten zu können“, hieß es seitens der Kommission.

Neben Hahn wird auch Kommissionsvizepräsident Maros Sefcovic interimistisch mit einer Zusatzaufgabe betraut. Der EU-Kommissar für die Energieunion ist ab sofort auch Vizepräsident für den digitalen Binnenmarkt. Diese Funktion hatte bisher der Este Andrus Ansip inne, bevor er ebenfalls ins Europaparlament wechselte.