Sea-Watch-Kapitänin freigelassen: Schutz für Richterin gefordert
Die sizilianische Richterin Alessandra Vella, die die Freilassung von Kapitänin Carola Rackete angeordnet hatte, wurde von der italienischen Regierung heftig kritisiert. Nach Drohungen und Beleidigungen im Internet fordert der Oberste Richterrat Schutzmaßnahmen für sie. Der deutsche Innenminister Horst Seehofer weist indes Kritik an Deutschlands Flüchtlingspolitik zurück.
Rom – Nachdem sie die Freilassung der Kapitänin der „Sea-Watch 3“, Carola Rackete, angeordnet hat, ist die sizilianische Untersuchungsrichterin Alessandra Vella unter Druck geraten. Politiker aus dem italienischen Regierungslager – wie Innenminister Matteo Salvini – attackierten die Richterin heftig. Vella schloss ihre Facebook-Seite, nachdem dort grobe Beleidigungen veröffentlicht worden waren.
Der Oberste Richterrat, der für den Richterstand in Italien zuständig ist, forderte Schutzmaßnahmen für die Untersuchungsrichterin im sizilianischen Agrigent. Diese geriet unter anderem ins Visier Salvinis, der ihren Beschluss zur Freilassung der Kapitänin als „skandalös“ bezeichnete. Salvini betonte, er habe auf eine härtere Reaktion der italienischen Justiz gehofft.
Der Richterverband ANM reagierte verärgert auf den Innenminister. Er warf Salvini vor, mit seinen Worten zu dem Richterbeschluss ein „Klima des Hasses und der Aversion“ gegenüber Richtern zu nähren. Dies würden auch die unzähligen Postings im Internet mit Drohungen und Beleidigungen gegenüber Vella beweisen.
Kapitänin Rackete an geheimem Ort
Noch unklar ist unterdessen, wo sich Kapitänin Rackete aufhält. Sie sei derzeit noch „in einem Versteck in Italien“, sagte Sprecher Ruben Neugebauer am Donnerstag. Sie will nach Angaben ihres Vaters bis zu einer weiteren Anhörung am 9. Juli in Italien bleiben. Ein Teil der Crew sei mittlerweile wieder zuhause, der andere noch auf dem Schiff. Das ist im Hafen der sizilianischen Stadt Licata festgesetzt.
Im Gespräch mit der italienischen „Sea-Watch“-Sprecherin Giorgia Linardi sagte Rackete, sie denke daran, nach Australien zu reisen, um sich dort um Albatrosse zu kümmern. Prompt kam Salvinis Reaktion. „Ich bin bereit, der Kapitänin einen Hinflug nach Australien zu zahlen“, sagte der Innenminister. Er hatte sich für Racketes sofortige Ausweisung ausgesprochen.
Immer noch Verhandlung über Sea-Watch-Migranten
Auch drei Wochen nach der Rettung der Migranten von der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch wird noch immer über deren Verteilung auf EU-Länder verhandelt. „Die Gespräche dazu laufen noch“, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Donnerstag.
Dem Vernehmen nach hat Deutschland eine Zusage für die Aufnahme von rund einem Drittel der 40 Migranten gegeben. Aufnahmebereitschaft hatten auch Frankreich, Finnland, Portugal und Luxemburg signalisiert. Die Migranten sind nach Angaben von Sea-Watch immer noch auf der italienischen Insel Lampedusa.
Seehofer weist Kritik in Flüchtlingspolitik zurück
Indes hat der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) die Kritik an Deutschlands Regierung in der Flüchtlingspolitik und im Fall Rackete zurückgewiesen. „Uns braucht niemand vorzuwerfen, dass wir eine inhumane Politik machen“, sagte Seehofer der Augsburger Allgemeinen (Donnerstagsausgabe).
„Insgesamt kommen jeden Tag die Menschen von umgerechnet zehn Schiffen nach Deutschland.“ Deutschland nehme außerdem von jedem Schiff der Seenotrettung, das in Italien ankomme, Menschen auf. Der „große Skandal“ sei vielmehr, dass die Europäische Union in der Flüchtlingspolitik „katastrophal versagt“ habe. „Es steht außer Frage, dass Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden müssen, das ist eine christliche Pflicht“, betonte der CSU-Politiker. „Aber wir können das Problem nicht alleine lösen.“
Seehofer sagte der Augsburger Allgemeinen, er habe im Fall Rackete nicht bei seinem italienischen Amtskollegen Matteo Salvini interveniert. „Ich kenne ihn aus mehreren Begegnungen, aber unsere Wege haben sich getrennt, weil er sich sehr weit nach rechts außen bewegt hat“, sagte Seehofer über den Lega-Politiker. „Das ist für mich keine Vertrauensbasis.“ (APA/AFP, dpa, TT.com)