Neuer Beatles-Film: „Wir konnten ja nicht alle Titel der Beatles nehmen“
Im neuen Kinofilm „Yesterday“ erzählen Danny Boyle und Richard Curtis die Geschichte der Beatles auf eine andere Art. Biographie ist es keine.
London — Jack Malik, ein ambitionierter, aber eher erfolgloser Sänger und Songwriter, wird von einem Bus angefahren. Just in diesem Moment fällt auf der ganzen Welt für zwölf Sekunden der Strom aus.
Als Jack wieder bei Bewusstsein und auf den Beinen ist, muss er zwei Dinge feststellen: Zum einen fehlen ihm zwei Zähne, zum anderen wurden offensichtlich die Beatles und ihre Songs aus der Erinnerung der Menschen gelöscht. Nur Jack kennt sie, singt sie — und wird zum Weltstar. Denn alle glauben, dass es seine Lieder sind.
Eine zweifellos sehr originelle Filmidee. Danny Boyle („Slumdog Millionär") realisierte sie nach einem Drehbuch von Komödien-Profi Richard Curtis („Notting Hill", „Bridget Jones", „Vier Hochzeiten und ein Todesfall") unter dem Titel „Yesterday". Ein Gespräch mit den beiden Herren im Soho Hotel in Westminster.
Wie kam es zu diesem Projekt?
Danny Boyle: Ich wollte schon immer einen Film über die Beatles machen, der keine Biographie ist. Dann kam Richard mit dieser königlichen Idee. Wir kannten einander von der Inszenierung der Olympia-Eröffnungszeremonie in London, zu der er einiges beisteuerte, zum Beispiel die Gestaltung des Auftritts von Rowan Atkinson.
Richard Curtis: Die „königliche Idee" kam nicht allein von mir. Ein Freund hatte mich angerufen und gesagt, er hätte vielleicht einen sehr guten Einfall für eine Filmstory, ob er sie niederschreiben sollte. Ich hörte sie mir an, dann erklärte ich: „Weißt du was. Ich schreibe lieber gleich selbst ein Drehbuch!" Wir einigten uns, und das Ergebnis gab ich dann Danny Boyle, der sofort Feuer und Flamme war.
Welche Beziehung, Danny Boyle, hatten Sie zu den Beatles?
Boyle: Da muss ich in meine frühe Jugend in meiner Heimatstadt Manchester zurückgehen. Ich hatte eine Zwillingsschwester und noch eine jüngere Schwester. Wir schliefen alle im selben Zimmer. Und was machten wir dort immer und immer wieder? Wir „spielten" die Beatles. Zunächst schlüpften wir unter die Bettdecken, dann warfen wir sie in eine Ecke und legten unter der Regie meiner Zwillingsschwester, die ein Riesenfan von Paul McCartney war, los. Also musste sie unbedingt Paul sein. Ich musste John Lennon mimen. Und die jüngere Schwester hatte, je nach Lust und Laune, die Wahl zwischen Ringo Starr und George Harrison. Ja, so hat wirklich alles begonnen.
Was ist letztendlich daraus geworden?
Boyle: Wie schon gesagt, keine Biographie. Ich würde es am ehesten als DNA-Suche bezeichnen.
Am Ende kommt ja sogar John Lennon ins Bild?
Boyle: Pssst. Es begann damit, dass ich oft nachdachte, was er heute machen würde. Und dann fiel mir etwas ein. Aber bitte, verraten Sie nichts. Das soll ein Überraschungseffekt für die Kinobesucher sein.
Gab es ein Problem?
Boyle: Das Problem war die Qual der Wahl. Wir konnten ja nicht alle Beatles-Titel verwenden. Also wählten wir nur die populärsten aus. Und „Yesterday" war der allerpopulärste, er war ja von MTV und der Zeitschrift Rolling Stone zum besten Popsong seit 1963 gekürt worden, und auf der Rolling-Stone-Liste der 500 besten Songs aller Zeiten belegte er Platz 13. Ein zusätzliches Problem hatte ebenfalls mit der Musik zu tun.
Nämlich?
Boyle: Wir brauchten ja nicht nur die Songs, sondern auch das, was man „Filmmusik" nennt. Nun gehen Sie einmal zu einem Komponisten, erzählen ihm, dass Sie einen Film über die Beatles drehen und dass wir noch „verbindende" Musik brauchten. Was hätte Ihnen jeder namhafte Komponist geantwortet? Er hätte auf seine Stirn gedeutet und gesagt: „Die Beatles! Und dazu ein paar Töne von mir. Wisst ihr, was? Seid ihr plemplem? Da bin ich mit meiner Musik doch ein lebender Toter!" Gott sei Dank hat Daniel Pemberton nicht so reagiert. Ich hatte mit ihm für den „Steve Jobs"-Film zusammengearbeitet, also bestand ein gewisses Vertrauensverhältnis, und er ließ sich überreden. Der Mix, den er geschaffen hat, ist genial.
Nach den „drogenverseuchten" Dramen „Trainspotting" eins und zwei legen Sie hier einen total „drogenfreien" Film vor. Ungewöhnlich?
Boyle: Popgeschäft, Konzerte vor Tausenden Menschen. Ich bitte Sie: Da gibt es noch viel, viel mehr Drogen als in „Trainspotting". Nur sieht man sie im Film nicht ...
Hatten Sie vor Drehbeginn Kontakt mit den noch lebenden Mitgliedern der Gruppe, Paul McCartney und Ringo Starr?
Boyle: Paul war ich bei der Olympia-Zeremonie kurz begegnet. Er ließ mich nur wissen: „Hauptsache, ihr verwendet als Filmtitel nicht ?Scrambled Eggs'." Denn das war der ursprüngliche Titel von „Yesterday" gewesen ? Ringo Starr schrieb mir einen ganz entzückenden Brief. Mit Olivia, George Harrisons Witwe, hatten wir keinerlei Kontakt. Auch Yoko Ono, Johns Witwe, haben wir nie getroffen.
Die Beatles waren Ihnen nicht genug. In „Yesterday" wirkt ja auch ein gewisser Ed Sheeran mit?
Boyle: Ja, und er war ungemein großzügig und stellte uns die Publikumskulisse seiner Auftritte in Wembley und Cardiff zur Verfügung. Unser Kameramann Christopher Ross trickste dann so, dass es schien, als wäre unser Hauptdarsteller Himesh Patel Star des Abends. Ed Sheeran war übrigens auch ein überzeugender Schauspieler. Als Ed Sheeran ...
Es geht ja nicht nur um Musik. Was schätzen Sie an der Story, die Richard Curtis dazu geschrieben hat?
Boyle: Er beherrscht den Rhythmus einer romantischen Komödie perfekt. Und er weiß auf unvergleichliche Art und Weise von Liebe zu erzählen, die nie endet. Im konkreten Fall auch von der Liebe zu den Beatles.
Sie, Mister Curtis, scheinen demnach ein sehr großer Romantiker zu sein?
Curtis: Da sehen Sie, wie man sich täuschen kann. Ich habe versucht, meiner Freundin einen besonders herzergreifenden Antrag zu machen, drei- bis viermal, bei allen möglichen Gelegenheiten. Und ich wurde dabei immer miserabler.
Die Hauptrolle des Jack Malik haben Sie mit dem bis dato kaum bekannten Himesh Patel besetzt. Der ist alles andere als ein Glamour-Boy. Wie haben Sie ihn gefunden?
Curtis: Das war einer der raren Fälle, dass einer zu den Castings kommt und man weiß sofort: Der und nur der kann es sein! Besonders bemerkenswert ist, dass er all die Beatles-Titel im Film live gesungen hat.
Sie hätten ursprünglich ja den neuesten James-Bond-Film inszenieren sollen. Das hat sich zerschlagen. Sind Sie deswegen sehr traurig?
Curtis: Es wurde ja berichtet, dass es „kreative Differenzen" gab. Aber es ist nichts Gehässiges passiert. Jede Seite hat ihre Meinung dargelegt, wir trennten uns auf faire Art und Weise. Und ich bin überzeugt, dass mein Nachfolger Cary Fukanuga — wir hatten ein paar Mal Kontakt miteinander — eine fabelhafte Arbeit abliefern wird.
Das Interview führte Ludwig Heinrich