„Requiem für einen Lebenden“: Nachdenken über das Leben vor dem Tod
Felix Leuschners „Requiem für einen Lebenden“ wurde im Rahmen der Münchner Opernfestspiele uraufgeführt.
Von Jörn Florian Fuchs
München –Allmählich verabschieden sich auch die letzten Häuser in die Theaterferien, an der Bayerischen Staatsoper jedoch gibt es traditionell noch bis Ende Juli einen üppigen Premierenreigen. Mit dem „Requiem für einen Lebenden“ des Komponisten und Schlagzeugers Felix Leuschner ist München ein intensiver Endsaison-Coup gelungen.
Leuschner und sein Librettist Reto Finger ließen sich von der wahren Geschichte eines zum Tode verurteilten Texaners inspirieren, der einen Schnellrestaurant-Mitarbeiter umbrachte und im Moment seiner Festnahme Vater wurde. Im Stück sitzt er in der Todeszelle und denkt weniger über die Tat oder ein mögliches Leben nach dem Tod nach, sondern reflektiert rauschhaft, grell, albtraumhaft Stationen seiner bewegten Vergangenheit und leidet an der statischen Gefängnis-Gegenwart. Sohn, Schwester, Ex-Freundin und Burgerlokal-Bedienung tauchen auf und rasch wieder ab, Erinnerungsfetzen vermischen sich mit Panikgedanken über die letzten Momente vor der Exekution mit der Giftspritze.
Ab wann geben Körper und Geist auf, ist irgendwann vielleicht sogar eine Art Versöhnung mit dem Schicksal denkbar? Reto Fingers Text mäandert klug durch Zeiten, Räume, Personenkonstellationen. Am Ende hat der Sohn eine sehr poetische Vision: Er sieht den Vater im Gefängnisauto gen Himmel schweben, einfach so – und so einfach. Dann folgt ein sehr feinfühlig gesungenes „Libera Me“ als Requiem-Finale.
Regisseur Manuel Schmitt zeigt das vorwiegend innere Geschehen als starken, konzentrierten Psychotrip. In der Bühnenmitte ringt der Häftling mit sich und der Welt. Ben Daniel Jöhnk macht das grandios, er spricht, stöhnt, schreit, spielt auch mal Basketball oder hört Musikfetzen über ein altmodisches Transistorradio.
Singen tut er nicht, das übernimmt vor allem die grandiose Salome Kammer, die mit einer Vielzahl elaborierter Vokaltechniken aufwartet: Zischen, Verzerren, Verschleifen.
Die Musiker des Ensemble Interface (Leitung: Armando Merino) machen reichlich elektronischen Krach, liefern aber immer wieder auch sanfte Streichertöne. Mehrfach agieren sie auf der Bühne, mit Tiermasken, bedrohlichen Gesten, Beinahe-Angriffen auf den Todeskandidaten. Felix Leuschner arbeitet oft mit Samples, Blues und Gospelfragmente wehen herein, trotz der Klangfülle wirkt hier nichts beliebig oder austauschbar.
Im Laufe des Abends dreht sich dieses eindringliche Musiktheater immer rasender, lauter, wütender um das Thema Tod, um völlige Unausweichlichkeit, um ausgeschlossene Rettung.
Dabei wird auf jegliches Pathos, auf moralinsaure Anklagen gegen die Justiz und/oder Gesellschaft verzichtet.
So wirkt das „Requiem für einen (noch) Lebenden“ trotz der vielen konkreten biografischen Details nachhaltig und bleibt zeitlos aktuell.