NR-Wahl 2019

Kurz in der Opferrolle: Experten analysieren ÖVP-Strategie

Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein Generalsekretär Karl Nehammer.
© APA

Vom Misstrauensantrag bis zu den Vorwürfen eines Verschwörungstheoretikers: Die ÖVP inszeniert Sebastian Kurz als einen “zu Unrecht Angegriffenen“, analysiert Politologe Filzmaier. Sozialpsychologe Ottermeyer sieht Parallelen zur Strategie Jörg Haiders.

Wien — Die ÖVP inszeniert ihren Spitzenkandidaten Sebastian Kurz im laufenden Nationalratswahlkampf als einen „zu Unrecht Angegriffenen". In diese Gesamterzählung packe die Partei die unterschiedlichsten Dinge hinein — vom politischen Misstrauensantrag im Nationalrat bis zur Internetseite eines Verschwörungstheoretikers, analysierte Politikwissenschaftler Peter Filzmaier am Montag im APA-Gespräch.

„All das passt zur Gesamterzählung ‚Unser Kanzler – denn das ist er für die ÖVP natürlich noch – wird zu Unrecht angegriffen‘“
Peter Filzmaier (Politikwissenschaftler)

„All das passt zur Gesamterzählung 'Unser Kanzler — denn das ist er für die ÖVP natürlich noch — wird zu Unrecht angegriffen'", sagte Filzmaier. Dafür habe sich die ÖVP schon in den Fernsehdiskussionen ganz zu Beginn entschieden. „Die Geister, die man rief, wird man nicht mehr los." Da die SPÖ wohl kaum noch einmal Tal Silberstein als Berater engagieren werde, müssten die Türkisen diese Erzählung selbst erschaffen.

Am Sonntag schrieb Kurz diese "persönlichen Zeilen" auf seinem Facebook-Account:

Ablenkung von Schredder-Affäre

Möglicher „und vielleicht nicht unerwünschter" Nebeneffekt sei, dass dadurch die Differenzierung von „gerechtfertigten Vorwürfen wie der Schredder-Affäre" und den „Angriffen eines Spinners" schwieriger werde. Dadurch werde etwa suggeriert, dass auch der Misstrauensantrag gegen Kurz' Kabinett ungerechtfertigt gewesen wäre.

Der Sozialpsychologe Klaus Ottermeyer zieht Parallelen zum früheren Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider: „Das ist eine klassische rhetorische Figur von Rechtspopulisten, dass sie, wenn Schwierigkeiten auftauchen, diese Umkehr machen: dass sie nicht Täter sind, sondern Opfer. Da hat Herr Kurz sicherlich auch von Haider gelernt", sagte Ottomeyer im Ö1-"Mittagsjournal". „Wenn die Marke Ich doch nicht so perfekt ist, wie man sie vorher hingestellt hat, dann versucht man sich als Opfer darzustellen, als der arme Bua, wie das so österreichisch heißt."

ÖVP ortet „systematische Schmuddelkampagne"

Die ÖVP hat am Wochenende „eine systematische Schmuddel- und Dreckskampagne gegen Sebastian Kurz" beklagt und auf eine Internetseite hingewiesen, auf der unter anderem behauptet wird, Kurz sei Kinderpornodarsteller gewesen. Auf der antisemitischen Webseite, die es bereits seit dem vergangenen Sommer gibt, werden diverse Verschwörungstheorien und Beiträge über Politiker verschiedener Parteien veröffentlicht, darunter, dass ein hoher Politiker einen Mord in Auftrag gegeben habe oder dass andere Parteienvertreter Menschenfleisch essen würden.

Dass die ÖVP einem Verschwörungstheoretiker, der wilde Falschmeldungen nicht nur über Kurz, sondern auch über andere Politiker verbreitet, überhaupt eine Bühne bietet, begründet ein Sprecher damit, dass Funktionäre auf die Seite aufmerksam gemacht hätten. In Anbetracht der Entwicklungen der letzten Woche, wo dauernd Gerüchte gestreut worden seien, habe man darauf sensibel reagiert, denn: „Einmal im Netz, immer im Netz." (TT.com, APA)

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