Brexit-Kurs für schottische Regierungschefin „gefährlich“

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon sieht den Brexit-Kurs von Johnson als gefährlich für ihre Region und das ganze Land an. Sie gehe davon aus, dass Johnson auf einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ohne Vertrag aus sei, sagte Sturgeon am Montag nach einem Treffen mit Johnson in Edinburgh.

Es sei nicht klar, wie er die EU zu Neuverhandlungen über den Brexit-Vertrag bewegen wolle. „Daraus schließe ich, egal was er öffentlich sagt, dass er in Wirklichkeit einen Brexit ohne Vertrag anstrebt“, so Sturgeon. Das sei die logische Konsequenz aus dem harten Kurs, den Johnson verfolge. „Ich denke, das ist extrem gefährlich für Schottland, ja für das ganze Vereinigte Königreich.“

Die schottische Regierung werde im Verlauf des Sommers mit den Vorbereitungen für ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum fortfahren, bekräftigte Sturgeon. Bei einer ersten solchen Abstimmung 2014 hatten sich noch 55 Prozent der Schotten gegen eine Ablösung von dem Vereinigten Königreich ausgesprochen. Bei dem Brexit-Referendum im Juni 2016 hatten sie aber mehrheitlich für einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU gestimmt.

Vor seinem Treffen mit Sturgeon hatte Johnson Großbritannien eine „strahlende Zukunft“ nach dem Brexit vorhergesagt. Das Vereinigte Königreich sei eine „globale Marke“, sagte Johnson. Es sei „lebenswichtig“, die Bande zu „erneuern“, die die Landesteile zusammenhielten.

Insbesondere mit Schottland, das einen EU-Austritt mehrheitlich ablehnt, sind diese Bande angespannt. Schottland ist die erste Station von Johnsons Reise durch die britischen Landesteile, bei denen er seine Brexit-Pläne erläutern will. Der Premier will dann auch neue Investitionen in Höhe von 300 Millionen Pfund (334,70 Mio. Euro) für Schottland, Wales und Nordirland verkünden.

Sturgeon forderte von Johnson nach dessen Amtsantritt einen Kurswechsel beim Brexit und bekräftigte ihre Ankündigung eines Unabhängigkeitsreferendums. Angesichts des geplanten EU-Austritts Großbritanniens sei es „mehr als je zuvor wesentlich, dass wir in Schottland eine alternative Option haben“. Neben Sturgeon will Johnson auch die Chefin der schottischen Konservativen, Ruth Davidson, treffen, die eine entschiedene Gegnerin eines No-Deal-Brexit ist.

Der irische Premierminister Leo Varadkar warnte, bei einem Brexit ohne Abkommen mit der EU würden die Menschen in Nordirland die Union mit Großbritannien „infrage stellen“. Die neue Außenhandelsministerin Liz Truss sagte hingegen, dass ein Freihandelsabkommen mit den USA „oberste Priorität“ habe. Sie wolle dabei auf das „erfolgreiche“ Telefonat zwischen Präsident Donald Trump und Premierminister Boris Johnson aufbauen, schrieb Liz Truss in der Zeitung „The Telegraph“. Außenminister Dominic Raab warf der EU vor, „halsstarrig“ zu agieren, weil sie den vereinbarten Austrittsdeal nicht aufschnüren wolle. Die neue Regierung schalte daher „den Turbo“ bei den Vorbereitungen auf einen ungeregelten EU-Austritt ein.

Johnson hatte am vergangenen Mittwoch das Amt des britischen Premierministers angetreten. Er kündigte an, den EU-Austritt seines Landes „ohne Wenn und Aber“ bis zum 31. Oktober abwickeln zu wollen - also notfalls auch ohne Abkommen mit der EU. Gegen einen solchen No-Deal-Brexit gibt es in Großbritannien aber große Widerstände.

Britische Wirtschaftsverbände warnten am Montag erneut vor den Folgen eines No-Deal-Brexits. Die Chefin des Industrieverbands, Carolyn Fairbairn, erklärte, da es unmöglich sei, die britische Wirtschaft von „allen Schäden der Fluten eines No-Deal abzuschotten“, müssen wir „Sandsäcke aufstapeln und so viel wie möglich schützen“. Weder Großbritannien noch die EU seien für einen Austritt ohne Abkommen gerüstet. Wenn schon die „Küche untergeht“, lasse sich vielleicht wenigstens das „Schlafzimmer im oberen Stock“ retten, schrieb die für die EU-Verhandlungen beim Verband zuständige Nicole Sykes.