Schweizer Polizei suchte Verdächtigen vor Frankfurt-Tragödie

Der Mann, der einen Buben am Montag mit einem Stoß vor einen einfahrenden ICE getötet haben soll, ist seit vergangenem Donnerstag von der Schweizer Polizei gesucht worden. Der Eritreer hat seine Nachbarin mit einem Messer bedroht, gewürgt und eingesperrt und ist dann geflohen. Nach Angaben der Schweizer Behörden befand er sich in diesem Jahr in psychiatrischer Behandlung.

„Er war auch im Vorfeld mit entsprechenden Delikten bereits in der Schweiz auffällig“, sagte der deutsche Bundespolizeipräsident Dieter Romann am Dienstag in Berlin bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Holger Münch, Präsident des deutschen Bundeskriminalamts (BKA). Zur Person des mutmaßlichen Täters sagte Romann weiter, er sei 1979 in Eritrea geboren, verheiratet und Vater dreier Kinder. Seinen Wohnsitz habe er in der Schweiz.

2006 sei der Mann unerlaubt in die Schweiz eingereist und habe dort Asyl beantragt, was ihm zwei Jahre später gewährt worden sei. „Er besitzt seitdem in der Schweiz die Niederlassungsbewilligung der Kategorie C, das heißt gut integriert“, sagte Romann. Der Verdächtige sei einer festen Arbeit nachgegangen, „aus Sicht der Ausländer- und Asylbehörden in der Schweiz vorbildlich“. Der Mann sei in Publikationen sogar als Beispielfall gelungener Integration genannt worden, sagte Innenminister Horst Seehofer.

Seehofer will nun die Sicherheit an Bahnhöfen verbessern. Mögliche Maßnahmen seien mehr Polizeipräsenz, eine stärkere Überwachung durch Videokameras und Umbauten, sagte er am Dienstag in Berlin. Am Geld sollten solche Maßnahmen nicht scheitern. Es sei „kein Argument“ zu sagen: „Das kostet Millionen und deshalb machen wir das nicht.“ Es gehe hier um die Sicherheit der Bevölkerung.

Der Verdächtige soll den Buben und auch dessen Mutter vor einen ICE gestoßen haben. Der Bub starb noch im Gleisbett, die Mutter konnte sich retten und wurde verletzt. Eine dritte Person, die der Mann auch attackiert hatte, konnte sich in Sicherheit bringen, ohne auf die Gleise zu stürzen. Dabei handelt es sich laut Staatsanwaltschaft um eine 78-jährige Frau. Sie erlitt einen Schock und eine Schulterverletzung.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts des Mordes und des versuchten Mordes. Der Tatverdächtige sollte am Dienstag dem Haftrichter vorgeführt werden. Erkenntnisse zum Tatmotiv gibt es bisher nicht: Der Verdächtige habe noch keine Angaben zum Tatgeschehen gemacht. Hinweise, dass der Mann unter Alkohol oder Drogeneinfluss gestanden habe, habe die Staatsanwaltschaft nicht. Eine erste Atemkontrolle auf Alkohol nach der Tat habe 0,0 Promille ergeben, sagte die Sprecherin.

Zur Frage nach dem Gesundheitszustand des Verdächtigen sagte sie: „Die Tat spricht ja schon dafür, dass man an eine psychische Erkrankung denkt.“ Geplant seien psychiatrische Gutachten, um zu ermitteln, inwieweit der Mann schuldfähig war.

Einen Zusammenhang zu einer Tat in Wächtersbach gibt es offenbar nicht. In der hessischen Kleinstadt hatte ein 55 Jahre alter Deutscher vergangene Woche auf einen Eritreer geschossen und schwer verletzt. „Wir ermitteln in alle Richtungen“, sagte die Sprecherin. So würden noch Zeugen vernommen und Videomaterial ausgewertet.

Am Tatort herrschte am Dienstag Entsetzen. Zahlreiche Menschen legten am Bahnsteig 7 des Hauptbahnhofs Blumen, Kerzen und kleine Teddybären nieder. Am Abend soll es im Bahnhof eine öffentliche Andacht geben, an der Vertreter von katholischen und evangelischen Gemeinden teilnehmen.

Innenminister Horst Seehofer (CSU) unterbrach seinen Urlaub und will sich „angesichts mehrerer schwerwiegender Taten in jüngerer Zeit“ am Dienstag in Berlin mit den Chefs der Sicherheitsbehörden beraten. Die Ergebnisse wird er auf einer Pressekonferenz (15.00 Uhr) vorstellen. Bei dem Treffen soll es neben der Attacke am Frankfurter Hauptbahnhof auch um Angriffe und Drohungen gegen Vertreter der Linkspartei gehen, um Bombendrohungen gegen Moscheen sowie den rassistisch motivierten Angriff auf einen Eritreer im hessischen Wächtersbach.

Der CDU-Innenpolitiker Philipp Amthor sagte: „Nach dieser furchtbaren Straftat braucht es jetzt rasche und spürbare Konsequenzen für den Täter. Zusätzlich zum Strafverfahren sollten auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen diskutiert werden. Darüber hinaus bin ich offen für eine Diskussion über bessere Sicherheitsvorkehrungen an unseren Bahnhöfen.“ SPD-Verkehrsexperte Martin Burkert bemängelte eine unzureichende Aufsicht an den Bahnsteigen, außerdem fehle es an den Bahnhöfen an Bundespolizisten. Aus Sicht der Vorsitzenden der Verkehrsministerkonferenz, Anke Rehlinger (SPD), sind Taten wie in Frankfurt durch Sicherheitsmaßnahmen allerdings nicht zu verhindern: „Eine solche Tat offenbart keine Sicherheitslücke, sondern eine Menschlichkeitslücke.“

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, warnte unterdessen vor Nachahmungstätern. Aus Großstädten wie Berlin seien Fälle sogenannter S- und U-Bahn-Schubser schon länger bekannt. „Die Polizei versucht sich nach jedem Fall präventiv besser einzustellen. Bei Taten, die vorsätzlich geschehen, stößt sie jedoch an ihre Grenzen.“ Angesichts von 5.600 Bahnhöfen und Haltestellen in Deutschland dürfe nicht mit schnellen Lösungen gerechnet werden.

Unterdessen erinnerten rund 400 Menschen mit einer Andacht an den getöteten achtjährigen Buben. Der Tod des Kindes sei für die Angehörigen eine „sinnlose Katastrophe“, sagte der Leiter der Frankfurter Bahnhofsmission, Carsten Baumann, am Dienstagabend. „Wir können nicht glauben, dass ein Leben sinnlos abbricht, das gerade erst begonnen hat.“

Baumann lud die Trauernden ein, sich in ein Kondolenzbuch einzutragen. Zunächst war geplant, die Andacht in der Bahnhofshalle abzuhalten, wegen des erwarteten großen Andrangs wurde sie aber auf den Vorplatz verlegt.

„Wir dürfen nicht zulassen, dass jetzt Gedanken von Hass um sich greifen“, sagte die Pfarrerin der Evangelischen Hoffnungsgemeinde, Jutta Jekel. Jetzt gelte es, bei den Opfern zu stehen. „Es geht darum, dass wir zusammenhalten, dass wir uns nicht hinreißen lassen von Wut und Gewalt“, sagte Jekel. An dem Gottesdienst nahmen Vertreter der katholischen und evangelischen Gemeinden in Frankfurt teil - darunter auch Mitarbeiter der Bahnhofsmission und der eritreischen Kirchengemeinden Frankfurt.

Neben dem Gottesdienst gab es auf dem Bahnhofsvorplatz auch zwei Mahnwachen unterschiedlicher politischer Gruppierungen. „Es gab einige hitzige Diskussionen, aber niemand ist den anderen angegangen“, sagte ein Sprecher der Frankfurter Polizei. Die Andacht selbst sei ruhig verlaufen, hieß es.