Kritik an Italiens Strafverschärfung für Seenotretter
Italien hat seine Gangart gegen private Seenotretter im Mittelmeer nochmals verschärft und damit massive Kritik ausgelöst. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR befürchtet, dass noch höhere Geldstrafen und weitere Sanktionen die Seenotrettung privater Helfer künftig be- oder gar ganz verhindern könnten. Die EU-Kommission will die EU-Rechtmäßigkeit prüfen. Such Amnesty International übte Kritik.
Die italienische Regierung geht im Kampf gegen die Migration aus Nordafrika seit ihrem Amtsantritt im vergangenen Jahr mit Härte gegen private Seenotretter vor. Am Montagabend billigte der Senat einen Gesetzentwurf, der den Druck auf die Hilfsorganisationen weiter erhöht. Das Gesetz sieht Strafen bis zu einer Million Euro vor, wenn ein Kapitän mit einem Schiff ohne Erlaubnis in die Gewässer des Landes fährt. In solchen Fällen können die Behörden ein Schiff künftig umgehend konfiszieren.
Grundlage für das Gesetz ist eine Notverordnung, die am 13. August ihre Gültigkeit verloren hätte und deshalb in ein Gesetz umgewandelt werden musste. Im Gesetzgebungsverfahren wurden die bereits im „Sicherheitsdekret“ vorgesehen Strafen weiter erhöht. Das Dekret geht auf den rechten Innenminister Matteo Salvini zurück.
Falls die EU-Kommission bei ihrer Prüfung zu dem Schluss kommen sollte, dass das Gesetz gegen EU-Recht verstößt, könnte sie ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien einleiten. In dessen Verlauf könnte auch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof folgen.
„Die NGOs spielen eine entscheidende Rolle bei der Lebensrettung von Flüchtlingen und Migranten, die die gefährliche Überfahrt antreten, um Europa zu erreichen“, erklärte das UNHCR. „Ihr Engagement und die Menschlichkeit, die ihr Handeln lenkt, sollten nicht kriminalisiert oder stigmatisiert werden.“
Auch Hilfsorganisationen, die im Mittelmeer mit Schiffen im Einsatz sind oder es bis vor kurzem waren, übten Kritik. „Italienische Juristen werden dieser völlig entgleisten Politik früher oder später Einhalt gebieten“, sagte der Sprecher der deutschen Hilfsorganisation Sea-Eye, Gorden Isler, der Deutschen Presse-Agentur in Rom. „Eine solche Strafzahlung würde Sea-Eye nicht ohne weiteres akzeptieren.“ Das Sea-Eye-Rettungsschiff „Alan Kurdi“ ist derzeit in der Rettungszone vor Libyen unterwegs.
Die deutsche Hilfsorganisation Sea-Watch hält das neue Gesetz für verfassungswidrig. Ihr Schiff „Sea-Watch 3“ liegt derzeit in Sizilien an der Kette, nachdem die Kapitänin des letzten Einsatzes, Carola Rackete, es unerlaubt nach Italien gesteuert hatte. In Racketes Fall griff das Sicherheitsdekret: Gegen sie wurde eine Geldstrafe in Höhe von mehr als 16.600 Euro verhängt. Nach Angaben ihres Anwalts wurde dagegen Beschwerde eingelegt.
„Das neueste Gesetz ist ein weiterer Schritt in der Kampagne zur Kriminalisierung jeglicher Form von Seenotrettung“, erklärte eine Sprecherin von SOS Mediterranee. „Diese Kriminalisierung und Blockade der Seenotrettung erhöht nur die Risiken für traumatisierte Menschen, die aus Libyen fliehen. Es ist wie die Bestrafung von Betreibern eines Krankenwagens, die nach einem Unfall Menschen in das nächstgelegene Krankenhaus bringen“, erklärte die Sprecherin. SOS Mediterranee betreibt mit der Organisation Ärzte ohne Grenzen das Schiff „Ocean Viking“, das erstmals unterwegs in die Rettungszone vor Libyen ist.
Italien hat Rettungsschiffen von Hilfsorganisationen zuletzt immer wieder die Einfahrt in die Häfen des Landes verboten. Wenn ein Schiff anlegen durfte, dann erst nach langwierigen Verhandlungen mit den EU-Partnern über eine Verteilung der Menschen.
Derzeit harrt das Schiff der spanischen Organisation Proactiva Open Arms unweit der italienischen Insel Lampedusa mit Dutzenden geretteten Migranten an Bord aus. Ein Sprecher der EU-Kommission sagte, mit Blick auf die „Open Arms“ sei bei der Brüsseler Behörde noch keine Anfrage zur Koordinierung unter den EU-Staaten eingegangen. Einen festen Mechanismus zur Verteilung von Bootsflüchtlingen gibt es nicht.