Bormann: „Ferdinandeum muss zurück zu den Bürgern“
Mit Ralf Bormann hat das Ferdinandeum erstmals einen Kustos nur für die Grafik. Ein Gespräch über Lücken in der Sammlung und das Potenzial der Zeichnung.
Ihre letzte Station war das berühmte Städel Museum in Frankfurt. Welche Erfahrungswerte bringen Sie mit nach Innsbruck?
Ralf Bormann: Das Städel ist ein ganz besonderes Haus, auch was die Grafik, also meinen Bereich, betrifft, mit einer Sammlung von über 100.000 Blatt. Das Städel hat großartige Werke, muss aber auch immer abliefern: Wenn eine Ausstellung nicht gut läuft, ist das eine Katastrophe. In kleineren Museen, etwa hier in Innsbruck, kann man experimentierfreudiger sein. Ich glaube, wofür man mich hier brauchen könnte, wäre die Konzipierung und Umsetzung eines Online-Kataloges. Denn was ich auch im Städel gelernt habe, Sichtbarkeit schafft vor allem eines: noch mehr Sichtbarkeit.
Apropos Sichtbarkeit bzw. Stellenwert: Seit Bestehen des Museums sind Sie der erste Kustos, der sich rein um die Grafik kümmern wird.
Bormann: Und das ist eine besondere Ehre für mich. Vor mir war Günther Dankl dafür zuständig, der in Personalunion auch die Moderne Galerie bestückt hat. Darin lag auch sein Schwerpunkt; was zugleich aber liegen blieb, sind die Altmeisterbestände. Darin sehe ich meine Aufgabe: auch diesen Teil sichtbar zu machen.
Sind Sie beim Durchsehen der Arbeiten auf einen besonderen Schatz gestoßen?
Bormann: Sehr überraschend war für mich die große Anzahl der Zeichnungen, die sich in der Sammlung befinden. Die Hälfte der etwa 30.000 Blätter im Ferdinandeum sind Zeichnungen. Eine sehr hohe Quote, an der man auch direkt die Entstehungsgeschichte des Hauses ablesen kann: Gegründet von interessierten Bürgern wurde die Sammlung über Legate von verdienstvollen Tiroler Sammlern angereichert. Daraus ergibt sich ein großer Unterschied zu fürstlichen Sammlungen. Zudem habe ich einen manieristischen Schwerpunkt erkannt, den ich mitsamt der Frage, woher dieses Interesse kommt, gern mal präsentieren würde.
Wie werden Sie mit der Sammlung arbeiten?
Bormann: Ich würde die Arbeitsweise des Kunsthistorikers zugänglicher machen. Wir haben zum Beispiel ein großes Konvolut an Zeichnungen, die bei uns als „unbekannte Italiener“, „unbekannte Franzosen“ liegen. Diese wurden und werden aber immer wieder von internationalen Experten der Grafikszene untersucht. Daraus haben sich und werden sich wohl noch etliche neue Zuschreibungen geben; das heißt, die Sammlung muss noch erschlossen werden. Da kann noch einiges passieren.
Was ist Ihnen bisher negativ aufgefallen?
Bormann: Es gibt in der Sammlung eine erstaunliche Lücke an deutscher Druckgrafik: Wir haben etwa kaum Blätter von Albrecht Dürer. Insofern kurios, als dass es im 19. Jahrhundert kaum bürgerliche Sammlungen gab, die auf Dürer verzichtet hätten. Ich gehe also davon aus, dass der Bestand aus Legaten der Sammlung irgendwie abhandengekommen sein muss. Und als Tiroler Landesmuseum sollten wir doch eigentlich die „Nemesis“ von Dürer haben, eine weltberühmte Grafik, auf der Klausen als Ort genau auszumachen ist. Diesen hatte Dürer damals durchreist. Diese Lücke sollte auf jeden Fall geschlossen werden.
Wie werden Sie die Sichtbarkeit für die Grafik im Ferdinandeum erhöhen?
Bormann: Wir werden spezielle Räume der Grafiksammlung vorbehalten, das hat man hier zuletzt in den Dreißigern gemacht. Was bedeutet: Das erste Mal seit rund 100 Jahren werden Arbeiten auf Papier in eigenen Räumen ausgestellt. Diese Werksausstellungen werden dann wohl alle drei bis vier Monate ausgetauscht. Das hat bei der Grafik vor allem mit konservatorischen Gründen zu tun: Arbeiten auf Papier sind zumeist sehr lichtempfindlich. Auch im Bereich der Moderne sind aktuell noch Zeichnungen zu sehen, die jetzt abgehängt werden. Einfach, weil wir gerade an einem Konzept für eine Neuhängung arbeiten.
Finden Sie, dass die Grafik allgemein an Stellenwert verloren hat? So setzt etwa die Wiener Albertina, die eine der wichtigsten Grafiksammlungen hat, heute hauptsächlich auf Blockbusterschauen mit Malerei.
Bormann: Meiner Meinung nach gewinnt die Grafik aktuell wieder eher an Anerkennung. Sie hatte es aber nie leicht, einerseits ist sie spanend, weil man dem Künstler sozusagen direkt über die Schulter blicken kann bei der Bewältigung eines künstlerischen Problems – das Gemälde ist vielmehr das markttaugliche Ergebnis. Andererseits ist Grafik schwer fassbar; einen Raum mit 20 Zeichnungen vollzuhängen, würde den Besucher überfordern. Ich finde das auch langweilig. Und zu den Blockbustern: Natürlich gibt es solche auch für die Grafik. Carmen Bambach aus dem Metropolitan Museum hat zuletzt eine Blockbuster-Schau zu Michelangelo-Zeichnungen gemacht. Mit 700.000 Besuchern.
Wie möchten Sie Grafik in Zukunft ausstellen?
Bormann: Ich bekenne mich zur Inszenierung. Das bedeutet nicht Fassadenschieberei. Ich habe aber keine Angst davor, einer guten Zeichnung eine ganze Wand einzuräumen. Der Besucher muss hingeführt werden, mit Licht und mit begleitenden Texten.
Das Ferdinandeum steht vor großen Umbauplänen. Was würden Sie ändern?
Bormann: Ich möchte es schaffen, neue Besuchergruppen anzusprechen: Touristen, besonders Studenten, aber auch Einheimische. Zwei Drittel der Besucher des Städels kommen aus einem Umkreis von 20 Kilometern; eine unglaubliche Zahl. Im Ferdinandeum sind, so weit ich weiß, etwa die Hälfte der Besucher Einheimische. Wir sollten testen, was diese Besucher sehen wollen. Die Manpower, die Werke, sind da und wir sollten auch den Mut haben, Dinge auszuprobieren. Für Touristen ist ein beständiges Image wichtig, sie müssen wissen, dass hier gute Kunst, aber auch gut vermittelte, gut inszenierte Kunst zu sehen ist. Im Städel habe ich außerdem gelernt, wie wichtig die Identifikation des Bürgers mit seiner Sammlung ist. Das Ferdinandeum muss zu diesen Bürgern, die das Haus schließlich aufgebaut haben, zurück. Ich erwarte mir von uns und mir, das Haus so bekannt zu machen, dass auch der nicht-klassische Museumsbesucher sich mit Werken aus dem Haus auseinandersetzen möchte.
Das Gespräch führte Barbara Unterthurner