Der Kampf ums Überleben in der Kriegshölle des Jemen
Im Jemen tobt ein brutaler Krieg. Millionen sind auf der Flucht und leiden Hunger. Zehntausende wurden bereits getötet. Care-Nothelferin Jennifer Bose war vor Ort.
Von Christian Jentsch
Aden — Für die UNO ist die Situation im Jemen, dem Armenhaus im Süden der Arabischen Halbinsel, die aktuell größte humanitäre Katastrophe der Welt. Im März 2015 griff eine von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition in den Bürgerkrieg im Jemen ein. Die Militärkoalition unterstützt die international anerkannte Regierung von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi im Kampf gegen die vom Iran unterstützten schiitischen Houthis, welche die Hauptstadt Sanaa und große Teile des Nordjemens eingenommen hatten.
Und nicht nur massive Luftangriffe der Militärkoalition — seit Kriegsbeginn bereits über 20.000 — forderten Zehntausende Tote. Durch Kämpfe, Unterernährung, Krankheiten wie den Ausbruch einer verheerenden Cholera-Epidemie und mangelnde medizinische Versorgung starben seit 2015 rund 200.000 Menschen. Zwischen 2017 und 2019 wurden laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1,7 Millionen Cholerafälle registriert, über 3300 Menschen sind bereits an der Durchfallerkrankung gestorben. Allein in diesem Jahr starben bereits 600 Menschen an der bakteriellen Infektionskrankheit.
Insgesamt sind rund 24 Millionen Jemeniten — von einer Gesamtbevölkerung von 28 Millionen — auf humanitäre Hilfe angewiesen, davon 13 Millionen Kinder. Rund 7,4 Millionen Menschen in dem bettelarmen, vom Krieg verwüsteten Land brauchen Nahrungsmittelhilfe. 3,2 Millionen Menschen sind akut mangelernährt, da- von 2,1 Millionen Kinder unter 5 Jahren und 1,1 Millionen Schwangere oder stillende Frauen. Und es gibt kaum Hoffnung auf ein Ende des blutigen Krieges, der wie in Syrien längst zum Stellvertreterkrieg der verfeindeten Regionalmächte mutiert ist. Das sunnitische Königreich Saudi-Arabien — unterstützt etwa von den Emiraten — und der schiitische Gottesstaat Iran fechten als Erzfeinde im Jemen ihren Krieg aus. Die Zivilbevölkerung im Jemen wird zwischen den Fronten aufgerieben. Beide Seiten — sowohl die von den Saudis angeführte Militärkoalition als auch die Houthis — schrecken dabei vor zivilen Opfern nicht zurück.
Jennifer Bose war als Nothelferin für Care Österreich im Juli in Aden stationiert. Aden wurde von Präsident Hadi zur Interimshauptstadt Jemens erklärt. In der offiziellen Hauptstadt Sanaa regieren die Houthis.
Bose beschreibt eine Welt, die von Tod, Hunger und Vertreibung geprägt ist. „Die Luftangriffe und Kämpfe haben desaströse Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft im Jemen. Die Menschen müssen bei der Flucht meist alles liegen und stehen lassen und sind oft tagelang zu Fuß auf der Flucht", erzählt Bose. Seit März 2015 wurden laut UNO rund 3,7 Millionen Menschen im Jemen zu Flüchtlingen. „Viele Städte und Dörfer sind zerstört, die Infrastruktur ist komplett zusammengebrochen. Die vom Krieg ermüdete und gebrochene Bevölkerung hat oft keinen Zugang zu Elektrizität und Wasser, es gibt keine sanitären Anlagen, in den Straßen türmt sich der Müll als Brutstätte für Stechmücken", berichtet die Care-Nothelferin. Wobei der Zugang zu umkämpften Gebieten, wo die Menschen besonders auf Nothilfe angewiesen sind, laut Bose auch für die Helfer nur sehr schwer möglich ist. Und auch die Helfer geraten ins Visier der Kämpfer. Für Bose ist der Krieg im Jemen „die größte humanitäre Krise der Welt und ein Wettlauf gegen die Zeit". „Eine ganze Generation wurde ihrer Chancen auf Bildung, Gesundheit und ein sicheres Leben beraubt." Und die Hungerkrise droht sich weiter zu verschärfen. Trotzdem scheint die Weltöffentlichkeit die Tragödie im Jemen längst vergessen zu haben. Von den bei einer Geberkonferenz im Februar in Genf versprochenen 2,3 Milliarden Euro für Hilfsleistungen hat die UNO noch nicht einmal ein Drittel erhalten. Bose fordert in diesem Zusammenhang mehr Unterstützung für die notleidende Bevölkerung im Jemen und parallel dazu mehr Anstrengungen von Seiten der internationalen Gemeinschaft für eine längst fällige Friedenslösung unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft.
Die Hilfsorganisation Care ist mit 300 Mitarbeitern im Jemen aktiv und versorgt im Monat rund eine Million Menschen mit sauberem Wasser, Lebensmitteln und auch Bargeld.