“Herkunft“: Des Autors reserviertes Verhältnis zu Teigwaren
Der 41-jährige Ex-Jugoslawe mit deutschem Pass Saša Stanišic hat mit „Herkunft“ ein gerade in Zeiten wie unseren wichtiges Buch geschrieben.
Von Edith Schlocker
Innsbruck –„Herkunft bleibt doch ein Konstrukt, eine Art Kostüm, das man ewig tragen soll, nachdem es einem übergestülpt worden ist“, lässt Saša Stanišic den Ich-Erzähler in seinem neuen Buch „Herkunft“ sagen. In dem der vor 41 Jahren im damals jugoslawischen – heute bosnischen – Visegrad geborene, seit seinem 14. Lebensjahr zuerst in Heidelberg und nun in Hamburg lebende Autor sich auf die lange Reise nach sich selbst begibt. Erzählt aus den unterschiedlichsten Perspektiven, die mit dem jeweiligen Alter des Sich-Erinnernden zu tun haben. Wodurch sich auch der Duktus und das Vokabular der Sprache ständig reizvoll ändert, um zwischen kindlicher Naivität und der geschliffenen Sprache des längst auf Deutsch träumenden studierten Literaturwissenschafters zu switchen.
„Herkunft“ sei ein Buch über seine verschiedenen Heimaten, über „Sprache und Scham, Ankommen und Zurechtkommen, Glück und Tod“, sagt der Autor, der für seinen Roman „Vor dem Fest“ sehr zu Recht mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet worden ist.
Mit „Herkunft“ hat Stanišic aber gerade ein in Zeiten wie unseren wichtiges Buch geschrieben. Das sich noch dazu wunderbar leicht liest, sind die einzelnen Kapitel doch kurz, um fast anekdotisch einzutauchen in real Erinnertes genauso wie genial Erfundenes. Geschrieben aus liebevoll kritischer Distanz zu den Protagonisten seiner Vergangenheit, jenen seiner Familie genauso wie den für die politischen Ereignisse verantwortlichen. Etwa seiner Großmutter, die ihn aufgezogen hat und der er sein „reserviertes Verhältnis zu Teigwaren“ zuschreibt, was wiederum mit dem Nudelholz der Oma zu tun haben dürfte.
In einem besonders berührenden Kapitel erzählt der kleine Saša vom Picknick am Grab der Urgroßeltern in einem bosnischen Dorf mit 13 Einwohnern, das es bald nicht mehr geben wird. In einem anderen wiederum geht es darum, wie es sich als 14-Jähriger anfühlt, sich als Fremder unter Fremden in einem fremden Land zurechtzufinden, seine ganz eigene Identität zu entwickeln. Nicht zuletzt, um sich selbst nicht länger fremd zu sein.
Näher als den Eltern, die im Gegensatz zum Sohn in Deutschland keine neue Heimat finden, ist dem Ich-Erzähler die Großmutter, die zunehmend in eine der Wirklichkeit ferne geistige Welt entschwindet. Sich sozusagen programmatisch ins Vergessen der Vergangenheit mitsamt ihrer schönen, traurigen und problematischen Kapitel rettet.
Stanišic gelingt es ganz wunderbar, von diesem Leben „vor und nach der großen Erschütterung“ zu erzählen. Um allzu großem Identitätsstress zu entfliehen, hat er sich die Strategie zurechtgelegt, primär das Heile zu beschwören, um das Kaputte nicht zu erdrückend daherkommen zu lassen.
Die Strategie des sprachakrobatischen Eichendorff- und Hölderlin-Freundes, seine Geschichte nicht chronologisch abzuwickeln, sondern die einzelnen Kapitel scheinbar beliebig zu mischen, geht auf. Stilisiert das auf 350 Seiten Ausgebreitete zu einem spannenden Puzzle, das allerdings mehrere Lösungen bereithält. Was bedeutet, dass Stanišic dem Leser eine ganze Reihe von Varianten anbietet, wie er die Geschichte enden lassen möchte.
Roman Sa š a Stani š ic : Herkunft. Luchterhand Verlag, 368 Seiten, 22 Euro.