Kino

„Deutschstunde“ mit Tobias Moretti: Der Ernst in erdigen Farben

Klare Front, aber kein Held in Sicht: der Ordnungshüter (Ulrich Noethen) und der Maler (Tobias Moretti).Foto: Constantin

Christian Schwochow hat Siegfried Lenz’ Bestseller „Deutschstunde“ als anschauliche Warnung vor blindem Gehorsam und Pflichtversessenheit verfilmt.

Von Joachim Leitner

Innsbruck –Die Pointe des Witzes ist etwas altbacken: Schergen und Schufte verstehen nichts von Kunst. Deshalb kann man ihnen auch Kindergekritzel als „entartet“, also urgefährlich, andrehen. Dem Maler, der nicht mehr malen darf und der dem Ordnungshüter das Frühwerk fremder Hand unterjubelt, bleibt dadurch wenigstens die Genugtuung, der mit gehörigem Abstand klügste Kopf im Raum zu sein. Einer, der seinen gesunden Menschenverstand noch nicht verloren hat.

Der Maler heißt Max Ludwig Nansen – und seine Geschichte ist ebenso bekannt wie erfunden. Im Jahr 1943 wird ihm von den Machthabern im fernen Berlin das Malen verboten. Weil er nicht abbildet, sondern mit Pinselstrich und Farbauftrag auch das ausdrücken wollte, was sich weniger sehen als erfühlen lässt. So hat Siegfried Lenz Nansens Geschichte Ende der 1960er-Jahre erzählt. Als Mahnmal für jene, die die Demütigungen des Nationalsozialismus im Stillen erduldeten.

Der Erfolg von Lenz’ Roman „Deutschstunde“ ruht auf drei Säulen: Zum einen ist es ein saugutes, weil wunderbar ironisches, mitunter beinah­e surrea­l überdrehtes Buch. Zum anderen schlummert in der Geschichte des Malers, der sich seiner Kunst verpflichtet fühlt und der Pflichtversessenheit seiner Widersacher die Stirn bietet, quasi universelle Wucht. Und zum Dritten gab es mit der Geschichte des Malers Emil Nolde ein reales Vorbild, was Identifikationspotenzial und die Aussicht auf Erbauung gehörig steigerte.

Letzteres entpuppte sich bald als literarisches Wunschdenken. Nolde war weit weniger Opfer als angenommen. Berechnend war er, mehr als linientreu. Selbst das Malverbot gab es in dieser Form nicht.

An der Qualität des Romans „Deutschstunde“ ändert das wenig. Die Wirkungsgeschichte des Weltbestsellers allerdings erscheint dadurch in einem anderen Licht. Auch aus der ließe sich ein Film machen: ein Kommentar über Legendenbildung und die Sehnsucht nach dem guten Menschen, der die Katastrophe schon erahnte, als alle anderen noch „Heil!“ brüllten. Auch Noldes echte Geschichte wäre – gewissermaßen als „Deutschstunde: revisited“ – Stoff für eine bissige Satire: Ein begeisterter Nazi landet in den mörderischen Mühlen der NS-Verbotspolitik.

Aber die Zeiten sind ernst – und die Vorboten eines neuen Totalitarismus lauern überall: Auch deshalb hat Christian Schwochow, spätestens seit der Hochglanzserie „Bad Banks“ zu Recht einer der gefeiertsten deutschen Film- und Fernsehmacher, „Deutschstunde“ als anschauliche Warnung vor autoritätstreuem Gehorsam und selbstvergessenem Pflichtbewusstsein verfilmt, kurzum: als sehr ernsten Film über ein sehr ernstes Thema.

Der Vorlage bleiben Schwochow und seine Mutter Heide, die das Drehbuch verfasst hat, in ihrer Adaption treu: In einer Haftanstalt der frühen Nachkriegszeit versucht Siggi (Tom Gronau) seiner Erinnerungen schreibend Herr zu werden, zum Thema „Die Freuden der Pflicht“ bringt er in zahllosen Heften zu Papier, wie sein Vater, der Dorfpolizist (Ulrich Noethen), den Maler (Tobias Moretti) drangsalierte. Allerdings: Wo der Roman im Beinahe-Bewusstseinsstrom auch wilde Volten schlägt, bleibt der Film erdverbunden konkret. Erdig ist denn auch die Farbpalette dieses Kostümdramas, das seinen Reiz nicht zuletzt aus dem Kontrast von muffigen Interieurs und majestätischen Totalen der Nordseeküste entwickelt. Auch hier, weit entfernt von den Schaltzentralen der Macht, hat der Faschismus Strukturen zersetzt – und bereits vorhandene Gräben weiter ausgehöhlt. Auch hier ist jeder auf seinen Vorteil bedacht: Selbst der Maler – Moretti spielt ihn mit kühler Zurückhaltung, ganz so als wüsste er mehr, als ihm das Drehbuch zugesteht – taugt für den vom Vater zum Spitzel geprügelten Siggi (als Kind: Levi Eisenblätter) nicht zum Helden. Wer hier Vertrauen verschenkt, ist selbst schuld. Da weiß Siggi mehr, als Siegfried Lenz einst wusste. Und „Deutschstunde“ ist als Film in einer Gegenwart angekommen, die gelernt hat, dass man auch und gerade den Strahlemännern misstrauen sollte.

Der Fall Emil Nolde

Die Figur des von den Nationalsozialisten mit Malverbot belegten Malers Max Ludwig Nansen entlieh sich Siegfried Lenz für seinen Roman „Deutschstunde" aus der Realität. Und veränderte deren Wahrnehmung dadurch nachhaltig. Der Expressionist Emil Nolde (1967-1956) wurde von Nazis als „entartet" verfemt. Was Nolde, Verfechter der Überlegenheit „germanischer Kunst", zunächst für ein Missverständnis hielt. Der Rassismus und Antisemitismus des Künstlers ist vielfach belegt. Nicht zuletzt in autobiografischen Schriften Noldes, die der Maler nach 1945 allerdings entschärfen ließ. Nicht zuletzt der globale Erfolg der „Deutschstunde" (rund 2,3 Millionen verkaufte Exemplare) verfestigte indessen das Bild von Nolde als verfolgtem Künstler in der inneren Emigration. Die Debatte über den Unterschied zwischen Realität und Legendenbildung wird seither immer wieder geführt. Bisweilen mit denunzatorischem Furor. Zuletzt im Frühjahr 2019 aus Anlass einer großen Ausstellung in Berlin, die eine kritische Neubewertung von Mensch und Maler anstrebte. Befeuert wurde die Diskussion auch durch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die zwei Nolde-Bilder im Kanzleramt abhängen ließ. (jole)

Verwandte Themen