Ungarn schlug EU-Botschafter als Kommissionsanwärter vor
Nach dem Scheitern des bisherigen Bewerbers aus Ungarn hat die Regierung in Budapest einen neuen Kandidaten für die künftige EU-Kommission unter Ursula von der Leyen als Präsidenten vorgeschlagen. Wie ein EU-Vertreter am Montag in Brüssel mitteilte, soll nun der bisherige ungarische EU-Botschafter in Brüssel, Oliver Varhelyi, Mitglied der neuen EU-Kommission werden.
Der Rechtsausschuss im Europaparlament hatte zuvor den bisherigen Kandidaten Laszlo Trocsanyi wegen Interessenskonflikten abgelehnt. Der zwei Mal abgelehnte Trocsanyi war als Erweiterungskommissar vorgesehen gewesen. Die EU-Parlamentarier werfen ihm Unregelmäßigkeiten bei der Tätigkeit seiner Anwaltskanzlei in seiner Zeit als Justizminister von 2014 bis 2019 vor. Trocsanyi hatte dies empört als „Ansammlung von Lügen“ zurückgewiesen und angekündigt, er wolle gegen die Entscheidung des Rechtsausschusses vor Gericht ziehen.
Ungarns rechtskonservativer und EU-kritischer Ministerpräsident Viktor Orban entschied sich aber schnell für einen Ersatzkandidaten. Der 47-jährige Varhelyi vertritt bisher als „ständiger Vertreter“ die Interessen seines Landes bei der EU und gilt als Brüssel-Insider. Er war zwischen 2011 und 2015 schon stellvertretender EU-Botschafter und von 2008 bis 2011 Abteilungsleiter in der EU-Kommission für gewerbliche Eigentumsrechte. Zuvor arbeitete der studierte Jurist im ungarischen Justizministerium in der Abteilung für Europarecht.
Gleichzeitig mit Trocsanyi lehnte der Rechtsausschuss im Europaparlament am Montag auch die rumänische Kandidatin Rovana Plumb erneut ab. Bei der als Verkehrskommissarin vorgesehenen Sozialdemokratin gab es Unklarheiten bei Krediten von fast einer Million Euro. Auch hier bat von der Leyen nach Angaben eines Sprechers um einen Ersatzkandidaten. Die Anhörungen der Anwärter begannen am Montag in Brüssel mit dem Slowaken Maros Sefcovic.
Sefcovic hatte sich vor der Europawahl als Spitzenkandidat der Sozialdemokraten beworben. Er tritt bereits zum dritten Mal als EU-Kommissar an. Sefcovic war zuletzt Vizepräsident für die EU-Energieunion und soll in der nächsten EU-Kommission für die Beziehungen zu den andere EU-Institutionen zuständig sein. Bereits in der zweiten Barroso-Kommission (2010-14) war er für interinstitutionelle Angelegenheiten zuständig.
Vor den EU-Abgeordneten des Rechtsausschusses, des Petitionsausschusses und des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie sagte Sefcovic, es brauche mehr, nicht weniger Europa. „Wie kann die EU dafür sorgen, dass wir nicht als Mittelmacht zwischen USA und China enden?“, fragte er.
Der Slowake will als EU-Kommissar engere Beziehungen zum Europaparlament pflegen. Dies gelte für die Arbeitsprogramme der EU-Institutionen. Erstmals könnte man Mehrjahresprogramme vorschlagen, sagte Sefcovic. Er warb außerdem für einen Frühwarnmechanismus, im Zuge dessen Entschließungen des EU-Parlaments von der EU-Kommission rechtzeitig aufgegriffen und debattiert werden könnten. Der ehemalige EU-Parlamentsschef Antonio Tajani verlangte zuvor ein echtes Initiativrecht und mehr Untersuchungsrechte für das Europaparlament.
Secovic will auch regelmäßig mit den nationalen Parlamenten über Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit bei der Umsetzung von EU-Recht diskutieren, um eine Übererfüllung (gold plating) zu verhindern. Die von ihm ins Leben gerufene europäische Batterien-Allianz soll in der neuen EU-Kommission fortgesetzt werden, sagte er.
Nach dem Scheitern der designierten EU-Kommissare aus Ungarn und Rumänien will die künftige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beide EU-Staaten rasch um Ersatzkandidaten bitten. Vorgespräche mit den Regierungen seien bereits geführt worden, sagte ein Sprecher von der Leyens am Montag. Voraussetzung sei aber ein offizielles Schreiben von EU-Parlamentspräsident David Sassoli.
Deren Sprecher sagte, man erwarte zügig neue Namensvorschläge aus Budapest und Bukarest. Die Prüfung etwaiger finanzieller Interessenskonflikte obliege den Hauptstädten, bevor sie die Kandidaten vorschlagen. Der Sprecher wollte nicht spekulieren, ob der Streit den Starttermin der Kommission am 1. November hinauszögern könnte. Das Verfahren liege in der Hand des Parlaments.
Gegen Trocsanyi und Plumb waren bereits seit Wochen auch politische Bedenken vorgebracht worden. Beobachter hatten mit ihrem Scheitern gerechnet, allerdings nicht so früh im Verfahren. Der Rechtsausschuss verhinderte mit seinem Votum, dass die beiden überhaupt zu Anhörungen im Parlament zugelassen wurden. Bei diesen wird bis 8. Oktober jeder der 26 Kommissionskandidaten ausgiebig befragt und auf Eignung geprüft.