Justin Trudeau vor Parlamentswahl in Kanada unter Zugzwang
Justin Trudeau hofft in wenigen Wochen auf eine Wiederwahl zum Premierminister. Seine Bilanz nach den vier Regierungsjahren ist jedoch eher durchwachsen, Mitschuld daran trägt mit Sicherheit auch die Gratwanderung um die Rohstoff- und Energiepolitik in dem ölreichen Land.
Von Siegmund Skalar/APA aus Seattle
Ottawa/Seattle – Der kanadische Premierminister Justin Trudeau muss sich in drei Wochen der Wiederwahl stellen. Im Vergleich zu seinem Erdrutschsieg im Jahr 2015 sind die Karten allerdings nun anders verteilt. Trudeau kann sich nicht mehr auf dem Versprechen ausruhen, frischen Wind in Kanadas Politik zu bringen. Der telegene Premier, der es unter anderem auf das Cover des US-Lifestylemagazins Rolling Stone schaffte, muss an seiner Strategie schrauben, wenn er die Wahl für sich entscheiden will.
Justin Trudeau, Sohn des langjährigen kanadischen Premierministers Pierre Elliott Trudeau, hatte bei der kanadischen Parlamentswahl im Jahr 2015 einen Überraschungserfolg gefeiert. Er war in den Umfragen hinter dem konservativen amtierenden Premierminister Stephen Harper gelegen und konnte dennoch für die liberale Partei die Regierungsmehrheit holen. Für weltweite Schlagzeilen sorgte danach sein Kabinett. Die Ministerriege bestand aus den Mitgliedern unterschiedlicher Ethnien und Konfessionen – zudem waren die Hälfte der Kabinettsmitglieder Frauen. Er wolle ein Kanada präsentieren „das auch so wie Kanada aussieht“, so Trudeau damals bei der Angelobung.
Vom Mathematiklehrer zum Premieminister
Für den nunmehrigen dreifachen Familienvater kam die Karriere als Politiker über Umwege. Studiert hatte er sowohl Literaturwissenschaft als auch Pädagogik und Ingenieurwissenschaften. Beruflich war er als Schauspieler, Mathematiklehrer und Türsteher tätig. Schließlich trat er im Jahr 2007 zum ersten Mal für die kanadischen Liberalen im Wahlbezirk Papineau, im französischsprachigen Montreal, zur Wahl an. Unter der Regierung von Premierminister Harper war er unter anderem als Minister im Schattenkabinett tätig. Die Parteiführung der Liberalen übernahm er im Jahr 2013.
Erfolgreiches Image vom Neubeginn
Trotz seines prominenten Vaters konnte Trudeau erfolgreich das Image eines Neubeginns verkörpern. Die Schlagworte seiner Wahlkampagne 2015 lauteten Entlastung für die Mittelschicht, Gleichberechtigung für Frauen und eine Politik der Versöhnung mit den amerikanischen Ureinwohnern. Während seiner Legislaturperiode wurde unter anderem eine CO2-Steuer eingeführt und eine Steuerreform zulasten von Vielverdienern umgesetzt. Auch die Neuverhandlung des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA fällt unter die Ägide von Justin Trudeau. Er hatte mit US-Präsident Donald Trump, der das Abkommen zuvor aufgekündigt hatte, Ende vergangenen Jahres eine Einigung erzielt. Mit der Legalisierung von Cannabis und Sterbehilfe machte er auch gesellschaftspolitisch Schlagzeilen.
Mehrere kleinere Skandale sowie Korruptionsvorwürfe sorgten in jüngster Vergangenheit für eine nachhaltige Korrektur des bis dato makellosen Bildes der Regierung von Justin Trudeau. Von dem ehemaligen Vorzeigekabinett war zuletzt ebenfalls nur mehr wenig übrig - Justizministerin Jody Wilson-Raybould sowie die ehemaligen Budgetministerin Jane Philpott waren Anfang 2019 in Folge des SNC-Lavalin Skandals aus ihren Ämtern zurückgetreten. Sie warfen Trudeau politische Einflussnahme vor, um eine Strafverfolgung des Unternehmens abzuwenden.
Opposition nutzt Image-Kratzer
Die Baufirma SNC-Lavalin aus Trudeaus Heimatprovinz Quebec war wegen versuchter Bestechung ins Visier der Öffentlichkeit geraten, erreichte jedoch außergerichtliche Einigung – nicht zuletzt aufgrund der Einflussnahme Trudeaus, so zumindest lautet der Vorwurf. Der Skandal schlug große Wellen in Kanadas Politik. Nicht nur aus den eigenen Reihen, sondern auch von der Ethikkommission des kanadischen Parlaments wurden Trudeau daraufhin Interessenskonflikte und Einflussnahme vorgeworfen. Trudeau verteidigte sich damit, Arbeitsplätze retten zu wollen, da eine gerichtliche Verfolgung von SNC-Lavalin den Ausschluss von Staatsaufträgen zufolge gehabt hätte.
Trudeaus Wahlgegner nutzen die Kratzer im Image ihres Premierministers und bezogen klar Stellung. „Unter Trudeau werden die Skandale weiter gehen und die Lebenskosten weiter steigen. Er ist nicht das, was er verspricht“, argumentieren die von Andrew Scheer geführten oppositionellen Konservativen. Auch Jagmeet Singh, Chef der drittstärksten Partei des Landes, der „New Democratic Party“, nahm Trudeau frontal unter Beschuss. „Die Kanadier werden weiter glauben, dass er im Interesse derer agiert, die Macht haben und gut vernetzt sind.“, so Singh.
Zusätzlich Schlagseite erhielt der nun 47-jährige Premier Trudeau zuletzt durch die Veröffentlichung von Bildern in Verkleidung („Brownface“) die ihn mit Rassismusvorwürfen konfrontiert sahen. In den Meinungsumfragen zeigten sich die Wähler doch vorerst noch nachsichtig. Allerdings lagen in den vergangenen Wochen, den Prognosen zufolge, Justin Trudeau und Oppositionsführer Scheer nahezu Kopf an Kopf. Fest steht damit wohl, dass, wenn Trudeau die Wahl klar für sich entscheiden will, er an seiner Strategie feilen muss.