USA verhängen Sanktionen gegen Türkei, Erdogan will IS-Kämpfer stoppen
Washington fordert eine sofortige Waffenruhe in Nordsyrien, verhängt Sanktionen gegen türkische Minister und kündigt Strafzölle an. Präsident Erdogan gibt sich unbeeindruckt. Die Ausreise von IS-Kämpfern aus Syrien werde man verhindern.
Washington, Ankara – Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist internationalen Sorgen entgegengetreten, dass die türkische Offensive in Nordsyrien gefangenen Kämpfern der Jihadistenmiliz IS (Daesh) die Flucht erlauben werde. „Wir werden sicherstellen, das kein Kämpfer des IS den Nordosten Syriens verlassen kann“, versicherte Erdogan in einem Kommentar, der am Dienstag im Wall Street Journal veröffentlicht wurde.
„Wir sind bereit, mit den Herkunftsländern und den internationalen Organisationen zu kooperieren für die Rehabilitation der Frauen und Kinder der ausländischen terroristischen Kämpfer“, schrieb der türkische Präsident.
International besteht die Befürchtung, dass die türkische Offensive gegen die kurdische YPG-Miliz den Kampf gegen die IS-Miliz schwächt und den tausenden IS-Kämpfern und ihren Angehörigen in kurdischer Haft die Möglichkeit zur Flucht gibt.
Diese Sorgen schienen sich zu bestätigen, als die kurdische Selbstverwaltung am Sonntag die Flucht von hunderten Angehörigen von IS-Kämpfern aus einem Lager bei Ain Issa meldete. Die Türkei sprach von einer „Desinformationskampagne“ und warf der YPG vor, IS-Kämpfer freizulassen, um Chaos zu verbreiten. Auch US-Präsident Donald Trump bezichtigte sie, auf diese Weise die USA in den Konflikt hineinziehen zu wollen.
USA fordern sofortige Waffenruhe
Die USA haben am Montag wegen der Militäroffensive in Nordsyrien Sanktionen gegen die Türkei verhängt und eine sofortige Waffenruhe gefordert. Trump will seinen Vize, Mike Pence, schnellstmöglich zur Vermittlung zwischen den Kurden und den Türken nach Ankara schicken.
Die Sanktionen würden ausgeweitet und verschärft, solange die Türkei nicht in den Waffenstillstand trete, die Gewalt einstelle und sich damit einverstanden erkläre, eine langfristige Lösung der Probleme entlang der Grenze zwischen der Türkei und Syrien auszuhandeln, erklärte Pence am Montag (Ortszeit). Erdogan habe Trump zugesichert, die Grenzstadt Kobane nicht anzugreifen, sagte Pence.
Sanktionen gegen Minister und Strafzölle
Sanktionen wurden gegen Verteidigungsminister Hulusi Akar, Energieminister Fatih Dönmez sowie Innenminister Süleyman Soylu verhängt. Zudem seien das Verteidigungsministerium und das Energieministerium der Türkei mit Sanktionen belegt worden, erklärte das US-Finanzministerium. Die US-Sanktionen haben unter anderem zur Folge, dass mögliches Vermögen der sanktionierten Personen in den USA eingefroren wird.
Neben den Sanktionen kündigte Trump in einer Erklärung die Anhebung von Strafzöllen auf Stahlimporte aus der Türkei auf 50 Prozent an. Zudem werde die US-Regierung „umgehend“ Verhandlungen über ein Handelsabkommen abbrechen.
Die demokratische Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, kritisierte die Sanktionen als nicht ausreichend, um die „humanitäre Katastrophe“ zu stoppen, die Trump mit seiner „unberechenbaren“ Politik hervorgerufen habe. Der US-Präsident ist wegen seiner Syrien-Politik scharf kritisiert worden. Auch Politiker seiner republikanischen Partei werfen dem Präsidenten vor, die Kurden im Stich zu lassen, die an der Seite der USA gegen den IS gekämpft hatten.
Trump mit sarkastischem Tweet
Trump verteidigte seine Linie aber in einem sarkastischen Tweet: Jeder könne Syrien dabei helfen, die Kurden zu schützen - „Russland, China oder Napoleon Bonaparte“. Er wünsche ihnen gutes Gelingen. „Wir sind 7.000 Meilen weit weg!“
Die Türkei hatte Mittwoch vergangener Woche einen lange geplanten Militäreinsatz gegen die kurdische YPG-Miliz begonnen, die an der Grenze zur Türkei in Nordsyrien ein großes Gebiet kontrolliert. Die Türkei hält die YPG für einen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und damit für eine Terrororganisation. Nach schnellen Verlusten hatten die von den Kurden dominierten SDF am Sonntag eine Vereinbarung mit der Regierung in Damaskus und deren Verbündetem Russland getroffen. Das syrische Militär kam den von der Türkei bedrängten kurdischen Milizen am Montag mit einem Truppenaufmarsch zu Hilfe. Über die Zahl der Truppen machte die Regierung in Damaskus keine Angaben.
Die SDF waren im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ein wichtiger Verbündeter der USA. Trump wird vorgeworfen, die Kurden im Stich gelassen zu haben, da er mit dem Abzug von US-Soldaten aus dem Gebiet faktisch den Weg für den Einmarsch freimachte. Am Wochenende ordnete Trump zudem den Rückzug verbleibender US-Soldaten aus dem Nordosten Syriens an. Der Zeitplan darüber ist unbekannt. Die Truppen würden in der Region bleiben, um ein Wiedererstarken der Terrormiliz Islamischer Staat zu verhindern, erklärte Trump am Montag. Ein kleiner Teil bleibe an einem Truppenstandort im Süden Syriens.
USA sieht „inakzeptablen Einmarsch“
Trump sei gegenüber Erdogan vollkommen deutlich gewesen: „Das Vorgehen der Türkei führt eine humanitäre Krise herbei und schafft die Voraussetzungen für mögliche Kriegsverbrechen“, erklärte Trump. Die Militäroffensive gefährde Zivilisten und den Frieden, die Sicherheit und Stabilität in der Region. Die Türkei dürfe die erzielten Erfolge im Kampf gegen den IS nicht gefährden. Zudem müsse die Türkei den Schutz von Zivilisten, ethnischen und religiösen Minderheiten vorne anstellen.
„Präsident Erdogan trägt die volle Verantwortung für die Konsequenzen, einschließlich eines möglichen Wiederauflebens des IS, möglicher Kriegsverbrechen und einer wachsenden humanitären Krise“, erklärte US-Verteidigungsminister Mark Esper. Er wolle die NATO-Partner bei einem Treffen in Brüssel kommende Woche zu Maßnahmen gegen die Türkei bewegen. Der „inakzeptable Einmarsch“ habe zur Befreiung „vieler gefährlicher IS-Gefangenen“ geführt.
Erdogan unbeirrbar
Trotz Anrückens der syrischen Kräfte von Präsident Bashar al-Assad und scharfer internationaler Kritik betonte Erdogan am Montag erneut, dass der „Kampf“ fortgesetzt werde, bis der „endgültige Sieg“ erreicht sei. Die Türkei will entlang der Grenze eine sogenannte Sicherheitszone unter ihrer alleinigen Kontrolle einrichten.
Die angekündigten US-Sanktionen dürften die angeschlagene türkische Wirtschaft empfindlich treffen. Im vergangenen Jahr hatte die US-Regierung Sanktionen gegen zwei türkische Minister wegen des Vorgehens der Türkei gegen einen amerikanischen Pastor verhängt. Schon die Androhung hatte die türkische Landeswährung Lira auf Rekordtiefstände geschickt. In den USA trieb parallel auch der Kongress Bemühungen um Sanktionen voran. (TT.com, APA/dpa/AFP)