“Gelobt sei Gott“: Nach dem Missbrauch folgt die Vertuschung
François Ozon erzählt in seinem preisgekrönten Film „Gelobt sei Gott“, wie ehemalige Ministranten in Lyon zu Anklägern wurden.
Von Peter Angerer
Innsbruck –Üblicherweise benötigt die Herstellung eines Filmes von der Idee über Drehbuch, Finanzierung und Produktion vier Jahre. François Ozon kann das schneller. Beinahe im Jahresrhythmus realisiert der französische Routinier kleine Meisterwerke, die auch unterschiedliche Genres, von der Komödie bis zum Thriller, bedienen.
Eine dokumentarische Dringlichkeit ist seiner aktuellen Kinoarbeit „Gelobt sei Gott“ anzusehen, sollte der Film doch ein Gerichtsverfahren unterstützen, zu dem es ohne das Kino erst gar nicht gekommen wäre.
Ermutigt von Tom McCarthys Oscar-prämiertem Film „Spotlight“ über den Bostoner Missbrauchsskandal, entschlossen sich 70 ehemalige Ministranten aus Lyon, 2016 ihr Schweigen zu brechen und als Missbrauchsopfer des Priesters Bernard Preynat an die Öffentlichkeit zu gehen.
Für Alexandre Guérin (Melvil Poupaud) lief alles nach Plan. Der erfolgreiche Bankmanager demonstriert mit seiner Frau und fünf Kindern jeden Sonntag in der Kirche das private Glück. Aber in seinen Händen hält er die Flasche seiner Missbrauchserfahrungen, aus der das Gespenst der Vergangenheit zu steigen droht. Vielleicht lag seine Mutter richtig (der er erst mit jahrelanger Verspätung von den Übergriffen des Pfarrers erzählen konnte), die die zeitliche Distanz zwischen Verbrechen und Bericht als geglückte Verarbeitung betrachtete. Aber in letzter Zeit tauchen in den Medien immer wieder Bilder seines ehemaligen Peinigers auf, wie er die Arme auf die Schultern von Kindern legt, den freundlichen Hirten gibt und seine pädophilen Neigungen verbirgt.
Alexandres Mutter, aufgeschreckt in ihrer bürgerlichen Behaglichkeit, findet, man möge „doch den armen Priester in Ruhe lassen“. Aber Alexandre denkt an seine Kinder, die sich auf die Firmung vorbereiten und beim Ferienlager mit den Pfadfindern in Gefahr geraten könnten.
Alexandre nimmt sich als psychisch stabil wahr, es ist eine Lüge. Das Leben mit ihm sei nur auszuhalten, sagt seine Frau, weil sie in ihrer Kindheit ähnliche Erfahrungen gemacht habe. Eine Entschuldigung des Priesters würde ihn schon zufriedenstellen, doch Preynat (Bernard Verley) offeriert nur ein gemeinsames Gebet, beruft sich auf „andere Zeiten“, womit sich Verbrechen durch ein seltsames Verständnis von Geschichte und Kumpanei von selbst entschuldigen.
Das zweite Verbrechen, dem Alexandre auf die Spur kommt, ist jenes der Vertuschung. Seit 30 Jahren sind Preynats Taten dokumentiert und harren, verborgen in den Archiven von Bischof und Kardinal, der Verjährungsfristen. Was Alexandre auch vor sich verborgen hat, zeigt Ozon am Beispiel der anderen Ankläger, die Preynat wegen ihrer Schwäche ausgewählt hat und denen kein so geglückter Lebenslauf gelungen ist. Es war Preynat, der ein Kind zum „Gebet“ in die Sakristei geholt, aber es war der Kardinal, der dieses Kind, anschließend verraten hat.
Es war Preynat, der im Februar dieses Jahres die Aufführung von Ozons Film verhindern wollte. Da hatte „Gelobt sei Gott“ bereits den Silbernen Bären der diesjährigen Berlinale gewonnen. Wahrhaftiger und erschütternder kann Kino nicht sein.