“Gisaengchung - Parasite“: Klassenkampf im Keller des Kapitalismus
Der Gewinner der Goldenen Palme 2019 ist eine bitterböse Komödie über Oben und Unten in einer Gesellschaft.
Von Marian Wilhelm
Innsbruck –Die Aussicht aus dem Kellerfenster der Familie Kim entspricht ihrer sozialen Stellung: ganz unten in der Kette des koreanischen Turbokapitalismus. Ungeziefer in der Wohnung und Betrunkene, die sich vor ihrem Unterschlupf erleichtern, sind da noch das geringste Problem. Vater Ki-taek und Mutter Chung-sook sind arbeitslos, die Familie schlägt sich mit Mini-Jobs wie dem Falten von Pizzaschachteln durch.
Doch die Kims sind erfinderisch. Als Sohn Ki-woo durch einen Freund als Nachhilfelehrer bei der reichen Familie Park vorgeschlagen wird, ist das Uni-Abschlusszeugnis schnell selbst angefertigt. Es geht ums Überleben und eigentlich ist es ja nur ein Vorgriff auf die mögliche erfolgreiche Zukunft. Bald ist auch Schwester Ki-jung als vermeintliche Kunst-Therapeutin bei den Parks engagiert. Nach und nach drehen die Kims den Spieß um und machen die Reichen von sich abhängig. Die vier Underdogs kennen auf dem Weg nach oben kein Pardon. Das schicke Ehepaar Park mit seinen verwöhnten Kindern weiß nicht, wie ihm geschieht. Ihre luxuriös-moderne Villa samt Keller wird zum symbolischen Angelpunkt der Geschichte.
Joon Ho Bong hat mit „Gisaengchung (Parasite)“ eine kurzweilige, bissige Kapitalismus-Komödie inszeniert, die sich immer weiter ins Bösartige steigert, inklusive ordentlicher Überraschungen. Zuletzt war er mit der flotten Netflix-Produktion „Okja“ bereits in locker-absurden Gefilden unterwegs. In seinem grimmig-kalten Dystopie-Actioner „Snowpiercer“ von 2013 nutzt er ebenso wie im aktuellen Film überdeutliche Symbolik für das gesellschaftliche Oben und Unten.
„Parasite“ ist aber weit weniger Genre-lastig, mit nur einem Hauch von Thriller gegen Ende und viel schwarzer Komödie. Die Bilder überlassen es der Geschichte, die Spirale dieser Farce weiterzutreiben, bis hin zu einer großen Überschwemmung und einem konsequenten Finale.
Dass die Gesellschaftskritik dabei nicht plump wird, ist dem treffsicheren Witz und den durchaus liebevollen Figuren zu verdanken. Anders als im japanischen Palmen-Gewinner „Shoplifters“ von 2018 ist die Außenseiter-Familie hier jedoch eindeutig im selbstorganisierten Klassenkampf gegen die Superreichen. Die Wiener Philosophin Isolde Charim schrieb kürzlich, es gebe „eine Sezession der Reichen“, ihre Finanz-Flucht zersetze die gesamte Gesellschaft. So gesehen ist die reiche Familie Park wohl der erste Parasit, der sich am Gemeinwohl satt frisst.
Doch Joon Ho Bong macht es sich nicht so einfach, die Moral nur simpel auf die Waagschale ausgleichender Gerechtigkeit zu legen. Der Film sei „eine Komödie ohne Clowns und Tragödie ohne Bösewichte“. Und: „Wir leben in einer Zeit, in der Kapitalismus die herrschende Ordnung ist und wir keine Alternative haben. Nicht nur in Südkorea, sondern auf der ganzen Welt. Der einzige Fall, in dem ein Aufeinandertreffen zwischen den Klassen stattfindet, ist ein Arbeitsverhältnis, in dem beide Klassen sich so nahe kommen, dass sie sogar den Atem des anderen spüren.“
Für die Leichtigkeit seiner schonungslosen Klassenkampf-Farce bekam Joon Ho Bong in Cannes verdient die Goldene Palme 2019.