Recht auf Risiko, nicht auf Rettung: Bergretter fordern Strafen
Bergretter helfen Menschen aus Notlagen, oft retten sie Leben, aber in Einzelfällen werden sie beschimpft und beschuldigt. Die Vorfälle häufen sich – genauso wie die Rufe nach Strafen für Unbelehrbare.
Von Matthias Christler
Innsbruck – Den 10. Jänner 2019 wird Andreas Eder nicht mehr vergessen. Es ist der Tag, an dem der Bergretter aus Mayrhofen mit sich hadert. Soll er als Einsatzleiter seine Mannschaft gefährden, um zwei Unbelehrbare zu retten? Zwei Skifahrer, die trotz Warnungen bei Lawinenwarnstufe 4 in unwegsames Gelände einfuhren. Die in insgesamt vier Anrufen immer wieder ihre Rettung einfordern. Und die ihre Retter am Telefon „anschnauzen“, erinnert sich Eder. „Kurz haben wir überlegt, ob wir sie drinnen lassen, weil es dort gefährlich war. Aber wir hatten jemand, der sich gut auskennt, also sind wir rein.“ Zum Teil mussten sich die Retter durch brusthohen Schnee kämpfen. „Die zwei haben damals nicht nur sich, sie haben meine Mannschaft in Gefahr gebracht“, sagt Eder.
Beim Alpinforum am kommenden Samstag im Rahmen der Alpinmesse Innsbruck wird er die Geschichte erneut erzählen. Als einer der Experten wird er mitdiskutieren zum Thema „Recht auf Risiko – Recht auf Rettung“. Bereits nach dem lawinenreichen Winter 2018
19 trafen sich Bergretter, Touristiker und Bergsportler zu einem Gipfel im Bundeskanzleramt. Anton Mattle, Bürgermeister von Galtür und stv. Bergrettungs-Landesleiter, forderte strafrechtliche Konsequenzen. Der Alpenverein (ÖAV) war dagegen und pochte erfolgreich auf das „Recht auf Risiko“.
Die Situation, das zeigt sich anhand neuer Vorfälle im vergangenen Sommer, hat sich jedoch nicht beruhigt. Die Zahlen, sowohl bei den Verunfallten als auch bei Suchaktionen, erreichten Rekordniveau.
Mattle bleibt dabei, dass sich etwas ändern muss: „Das Recht auf Risiko ist selbstverständlich geworden. Das sehe ich kritisch.“ Von strafrechtlichen Maßnahmen sieht er inzwischen ab, prescht allerdings mit einem neuen Vorschlag vor. „Die Gemeinden könnten Verwaltungsstrafen verhängen“, verweist er auf Möglichkeiten wie in Vorarlberg. In Lech zum Beispiel können Pistenwächter Strafen von bis zu 730 Euro verhängen bzw. den Skipass abnehmen. „Es sind ja nicht die Skitourengeher, meistens sind es Seilbahnbenutzer, die trotz Lawinenwarnstufe 4 oder 5 in gefährliches Gelände einfahren.“ An denen könne man ein Exempel statuieren. Das befürwortet auch Bergretter Eder. Es sei nur ein minimaler Prozentsatz, aber jene, die sich trotz Warnungen in Gefahr bringen, „gehören bestraft“.
Der Alpenverein lehnt Strafen nach wie vor ab. ÖAV-Präsident Andreas Ermacora kann dem Vorschlag, dass Personen, die sich über Sperren der Liftgesellschaften hinwegsetzen, die Karten abgenommen werden, etwas abgewinnen. Mehr aber auch nicht: „Wichtig sind Aufklärung und Information.“
Und die Unbelehrbaren, haben die ein Recht auf Rettung? „Der Bergretter macht das ja freiwillig, er hat primär darauf zu schauen, dass seine Sicherheit an erster Stelle steht“, erwidert Ermacora. Wie dramatisch Rettungsaktionen zum Teil verlaufen, kann er aus eigener beruflicher Erfahrung nachvollziehen. Er hat als Rechtsanwalt den Ersthelfer vertreten, dem vorgeworfen wurde, dass er im Jänner 2019 bei einer Rettungsaktion eine Lawine ausgelöst hatte, die einen 16-Jährigen tötete.
In diesem Fall wurde der Bergretter – laut Staatsanwaltschaft zu Unrecht – beschuldigt, falsch reagiert zu haben. In anderen Fällen behaupten Gerettete, dass zu langsam reagiert wurde. Und manchmal sagen sie, dass sie gar nicht gerettet werden wollten.
Der Bergretter steckt in einer moralischen Zwickmühle. Er muss nicht helfen, will aber, und bringt sich freiwillig in Gefahr, obwohl er damit rechnen muss, hinterher für seine Hilfe kritisiert zu werden. Eder dazu: „Es ist schon ärgerlich, wenn du angeschnauzt wirst. Trotzdem: Ich und, ich glaube, alle Bergretter machen das aus Leidenschaft.“
Die Unbelehrbaren, die auf ihr Recht auf Risiko pochen, haben kein Recht auf Rettung. Gerettet werden sie trotzdem – wie am 10. Jänner 2019 in Mayrhofen und wie bei Hunderten Einsätzen im kommenden Winter.
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Bergrettung kann schnell „extrem“ werden
Jeder hat heute am Berg ein Handy dabei, kann im Notfall Hilfe rufen, mithilfe der Bergrettungs-App seine Standortdaten übermitteln und mit dem Einsatzleiter telefonieren. Bei der Ausrüstung der Bergrettung hat sich über die Jahrzehnte ebenso viel verbessert. „Die höchsten Wände in Tirol sind die Laliderer mit 850 Metern. Seit 1978 haben wir lange Seile, die über die ganze Wand reichen, sodass wir uns vom Gipfel aus abseilen und die Verunglückten heraufholen können. Davor hatten wir nur 100-Meter-Seile und mussten von unten einsteigen und die Route nachklettern. Die Mannschaft musste damals genauso gut klettern können wie die Verunglückten. Das waren die extremsten Situationen“, sagt Walter Spitzenstätter. Er ist seit 62 Jahren bei der Innsbrucker Bergrettung und Autor des Buchs „Ehrensache Leben retten – Die Geschichte der Bergrettung Tirol“ (Tyrolia), das Mitte Dezember erhältlich sein wird.
Trotz aller Fortschritte kommt es noch zu Unwägbarkeiten am Berg. „Je schwerer die Touren sind, desto besser sind die Alpinisten. Wo gute Leute unterwegs sind, passiert wenig. Die extremen Einsätze sind nur ein schmaler Ausschnitt der 6000 Bergunfälle, die wir in Tirol pro Jahr haben“, sagt Spitzenstätter. Extrem für die Retter werde es aber, wenn eine Person im unwegsamen Gelände gesucht werden muss, wenn es technische Schwierigkeiten gibt, die Verunglückten zu bergen, wie z. B. bei Canyoning-Unfällen, oder nach Lawinenabgängen. Extrem sei auch die körperliche Belastung für die Bergretter, wenn sie bei Regen oder Schnee und Nebel, nachts und mit schwerem Gepäck ausrücken müssen. „Das meiste kann man bei Übungen zeigen und trainieren. Doch wenn etwas Unvorhergesehenes kommt, muss man sich zu helfen wissen“, sagt er.
Bergrettung ist Teamarbeit, die nicht aufhört, wenn der Verunglückte geborgen ist. Auch an der Klinik sind die verschiedensten Disziplinen beteiligt. „Die Rettungskette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied“, betont Thomas Schachner, Herzchirurg an der Innsbrucker Uniklinik. Was „extrem“ ist, wird medizinisch anhand der Anzahl und Schwere der Verletzungen definiert, ob der Patient unterkühlt ist oder viel Blut verliert.
Auch medizinisch gibt es Fortschritte, wie z. B. die mobile Herz-Lungen-Maschine. Sie stellt laut Schachner die „High-End-Versorgung“ dar, ersetzt bei Kreislaufstillstand oder schwerer Unterkühlung vorübergehend Herz und Lunge und kann im Schockraum angeschlossen werden.
Der beste Schutz in Extremsituationen sind dem Arzt zufolge Ausbildung, Erfahrung, und „dass man auf sich und die anderen schaut und auch umdrehen kann“. (thm)