Selina trägt jetzt auch Dutt: Neues Craniofacialen Zentrum in Innsbruck
Selina (16) wurde mit einer Fehlbildung am Ohr geboren und in Innsbruck behandelt. Mit dem neuen Craniofacialen Zentrum sollen die Abläufe für Patienten einfacher werden.
Von Theresa Mair
Innsbruck –Selina hatte gelernt, von den Lippen abzulesen, wenn andere sprachen. Bis vor zwei Jahren hörte die 16-jährige Steirerin aus der Nähe von Schladming nicht gut. In der Schule war das anstrengend. „Bei Diktaten habe ich ‚m‘ und ‚n‘ oft nicht richtig verstanden“, erinnerte sich die HAK-Schülerin gestern anlässlich der Eröffnung des Craniofacialen Zentrums an der Innsbrucker Klinik. Früher hat Selina auch darauf geschaut, dass ihr rechtes Ohr von den Haaren verdeckt ist.
Sie ist mit einer Fehlbildung auf die Welt gekommen. „Ihr rechtes äußeres Ohr war fast nicht angelegt, sie hatte keinen Gehörgang und auch das Mittelohr war inkomplett“, schilderte gestern Claus Pototschnig, geschäftsführender Oberarzt an der Uniklinik für HNO und Leiter des Craniofacialen Boards. Neben Selina hätte ein Düsenjet starten können und sie hätte ihn nur in Gesprächslautstärke wahrgenommen. Mit 14 entschloss sie sich zur Operation – eigentlich waren es drei Eingriffe, bei denen ihre Ohrmuschel kosmetisch rekonstruiert wurde und sie ein Hörgerät-Implantat eingesetzt bekam. Seither hört sie wieder gut. „Lippenlesen brauche ich fast gar nicht mehr“, sagt sie.
Selinas Behandlung erforderte die Zusammenarbeit von Spezialisten unterschiedlichster medizinischer Fächer, wie plastischen Chirurgen und HNO-Ärzten. Sie hatte das Glück, dass sich Franz Muigg von der Uniklinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen ihrer annahm und sämtliche Termine für sie koordinierte. „Er hat die Hörtests mit mir gemacht und alles organisiert, damit wir nur zweimal im Jahr herfahren mussten und alle Ärzte an einem Tag abklappern konnten“, erzählt sie. Schätzungsweise 50 Patienten mit unterschiedlichsten Fehlbildungen im Kopf-, Hals- und Kieferbereich sind derzeit an den Innsbrucker Universitätskliniken in Behandlung. Mit der Gründung des Craniofacialen Zentrums soll es nun allen Betroffenen so leicht gemacht werden, sich an der Klinik zurechtzufinden. „Wenn fünf bis sechs Disziplinen involviert sind, ist die Logistik schwieriger. Deswegen gibt es jetzt eine Koordinationsstelle“, erklärte Gerhard Pierer, Direktor der Uniklinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie und Sprecher der Mitgliederversammlung des neuen Zentrums. Es dürfe nicht so sein, dass Patienten „jemanden kennen“ müssen, um an der Klinik in gute Hände zu kommen. Sie sollten darauf vertrauen können, dank der besseren Vernetzung der Disziplinen an die richtige Stelle zu gelangen.
Insgesamt sind acht Kliniken – von der Uniklinik für Anästhesie und Intensivmedizin über die Gynäkologie und Geburtshilfe bis zur Neurochirugie – im Cranciofacialen Zentrum vertreten. Ebenso das Institut für Humangenetik, das Department für Kinder- und Jugendheilkunde und das Department für Radiologie. Allen Patienten steht zudem psychologische Unterstützung bzw. eine Sozialberatung zur Verfügung. Das Institut für Humangenetik bietet im Rahmen des Zentrums die Abklärung möglicher erblicher Ursachen an. Es steht den Betroffenen auch beratend zur Seite, wenn es um Fragen geht, die z. B. eine mögliche Weitervererbung betreffen, wie Christine Fauth, Oberärztin am Institut für Humangenetik und stv. Leiterin des Craniofacialen Boards, sagte.
Einmal im Jahr tagt die Mitgliederversammlung. Das Craniofaciale Board trifft sich monatlich, um die einzelnen Patienten zu besprechen. Doch nicht nur für die Betroffenen, auch für die Mediziner bringt die neue Organisation Vorteile. Über eine eigens geschaffene IT-Plattform kann jeder beteiligte Arzt alle Befunde einsehen, ohne irgendwelche Freigaben von Abteilungen abwarten zu müssen.
Ab sofort können sich Patienten direkt an die Koordinationsstelle des Craniofacialen Zentrums (cfc.tirol-kliniken.at) wenden oder aber sie werden von einer Kontaktperson in einer Abteilung dem Board vorgestellt. Der dritte Pfad führt mitunter schon über die Pränataldiagnostik vor der Geburt ins Zentrum: Die Entbindung und dringende Operationen können auf diesem Weg ohne Hektik geplant und Eltern aufgefangen werden.
Selina ist für Pototschnig ein „Paradebeispiel“ dafür, dass die Betreuung der Patienten vorher schon gut war, jetzt sei sie noch besser. Und Selina fühlte sich auch schon wohl, bevor sie operiert wurde, sie sei nie gehänselt worden. Manchen sei die Fehlbildung gar nicht aufgefallen. „Aber die kosmetische Korrektur war schon hilfreich. Jetzt habe ich auch öfters einen Dutt.“