Maßschneiderei in Lienz: Der Walker kommt wieder zurück
Anna und Marianna Oberdorfer führen eine Maßschneiderei in Lienz. Zu traditionellen Stoffen wie Leinen und Loden gesellt sich wieder gewalkte Wolle. Die Näherinnen loben deren Robustheit und Funktion.
Von Christoph Blassnig
Lienz –Im Jahr 1981 hat Marianna Oberdorfer ihre Schneiderei in Lienz eröffnet. „Damals war das Schneiderhandwerk in Lienz noch eine feste Größe“, erinnert sich Oberdorfer. An die zwanzig Unternehmen habe es gegeben und dazu eine Berufsschule in der Stadt mit einem guten Dutzend Lehrlinge jedes Jahr. Diese Zeiten sind zwar vorbei, doch die Maßschneiderei Atelier Marianna hat sich halten können. Und ähnlich wie bei dem regelrechten Boom vor knapp vier Jahrzehnten gibt es seit einigen Jahren wieder einen neuen Trend zur Tracht – das Spezialgebiet der trachtenkundigen Seniorchefin. Ihre Tochter Anna, die das Unternehmen vor einem Jahr übernommen hat, fertigt am liebsten klassische Männerbekleidung. Aktuell kommt ein urig anmutendes Kleidungsstück wieder in Mode, das sowohl Damen als auch Herren in vielen Kombinationen im Alltag tragen können: der Walkjanker oder -mantel.
„Wie in einer Maßschneiderei üblich, ist jedes Kleidungsstück nicht nur genau angepasst, sondern entspricht auch vom Design her genau den Kundenwünschen“, sagt die Juniorchefin. Walkstoffe sind derzeit in verschiedenen Stärken und in herbstlich bunten Farben vorrätig. „Richtig kreativ kann man nicht nur beim Schnitt oder bei einem aufwändigen Innenfutter sein, sondern auch bei aufgesetzten Taschen und Einfassungen. So entstehen Unikate, an denen man viele Jahre lang Freude hat.“ Anna trägt in den Übergangsmonaten selbst einen Walkjanker, dem man die Nutzung mittlerweile ansieht, wie sie gesteht. „Das Futter muss man vielleicht einmal erneuern, sonst ist der Stoff haltbar wie kaum ein anderer.“ Es habe seinen Grund, warum die Menschen früher im Winter diesen gewalkten Wollstoff als Oberbekleidung verwendet haben. „Ich habe immer warm, ohne zu schwitzen. Niederschlag perlt auf der Oberfläche ab. Und die Wolle kann zwei Drittel ihres Eigengewichtes an Wasser aufnehmen, ohne dass sie sich nass anfühlt.“ Flecken sollte man trocknen lassen und dann abbürsten. Gerüche entfernt man am besten, indem man den Walker beim Duschen im Bad aufhängt und anschließend im Freien trocknen lässt, gibt die Schneiderin einen Tipp. Und nachhaltig sei der Stoff nicht nur, weil er ein reines heimisches Naturprodukt ist. „Wenn man das Kleidungsstück wirklich einmal ausgetragen hat, taugt es immer noch als Dünger im Garten“, lächelt die junge Schneiderin, die das Material auch in Gartenfachmärkten entdeckt hat. Die Kombination mit einer Anzughose sei genauso gut möglich wie mit einer Jeans, darunter könne man T-Shirts, Hemden oder Westen tragen. „Man ist mit einem Walker für jeden Anlass passend gekleidet.“
Es sind nicht nur Osttiroler Trachtenvereine, die die Handwerkskunst der Schneidermeisterinnen und ihrer Mitarbeiter in Lienz schätzen. „Viele wollen einfach ein individuelles Stück besitzen. Das Handwerk hat wieder einen Wert“, meint Marianna Oberdorfer. Manche Urlaubsgäste möchten ebenso gerne ein tragbares Andenken wie viele Osttiroler, die außerhalb des Bezirkes leben. Hochzeitspaare lassen sich oft schon ein Jahr im Voraus beraten. „Unsere Bräute betonen voll Stolz, dass sie ein Einzelstück tragen, das sie selbst entworfen haben. Was ja auch stimmt.“ Die Leute würden inzwischen vermehrt wieder wegkommen vom Internet und stattdessen auf individuelle Beratung in der Heimat setzen.
Für Besucher, die sich einfach einmal im Atelier umsehen und dann gleich ein Stück Handwerk mitnehmen möchten, haben die Schneiderinnen immer etwas Besonderes zu bieten. Derzeit gibt es praktische Tragetaschen aus Osttiroler Leinen, die auf Wunsch auch mit alten Fotomotiven aus Osttirol geschmückt werden können.