Spanien-Wahl: Separatisten kämpfen untereinander um Führungsanspruch
Wie vehement der Konflikt und Richtungsstreit zwischen den katalanischen Separatistenparteien ist, zeigt der Wahlkampf. Nach den jüngsten Straßenschlachten mit fast 200 Verletzten und bis zu 600 Festnahmen in Barcelona ist die Stimmung aufgeladen.
Madrid/Barcelona – Bei der spanischen Parlamentswahl am Sonntag sind auch rund fünf Millionen Menschen in der nach Unabhängigkeit strebenden Konfliktregion Katalonien zur Stimmabgabe aufgerufen. Dabei dürfte sich zeigen, welche politische Kraft im separatistischen Lager derzeit die Oberhand hat.
Mit Massenprotesten und teils gewalttätigen Ausschreitungen reagierten viele Unabhängigkeitsbefürworter die vergangenen Wochen auf die Verurteilung von neun Separatistenführern Mitte Oktober wegen der Durchführung des illegalen Unabhängigkeitsreferendums 2017. Neben Bürgerinitiativen machten sich auch die beiden separatistischen Regierungskoalitionsparteien JxCat und die Linksrepublikaner ERC stark für den „friedlichen Protest“ und „zivilen Ungehorsam“.
Der Eindruck einer starken separatistischen Einheitsfront entstand. Die Realität sieht allerdings anders aus, versichert Miquel Molina. Die Parteienallianz JxCat, die ERC und die linksextreme Separatistenpartei CUP liefern sich bei den Parlamentswahlen vielmehr einen erbitterten Konkurrenzkampf, so der stellvertretende Chefredakteur von Kataloniens größter Tageszeitung La Vanguardia. „Die Parlamentswahlen am Sonntag sind vor allem für JxCat und ERC ein wichtiger Schritt, um ihren Führungsanspruch innerhalb der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zu untermauern“, sagte Miquel Molina im Gespräch mit der APA.
Unabhängigkeit als Wahlkampf-Thema
Es gehe um politische Macht, aber auch um einen Richtungsstreit, wie die Unabhängigkeit der wirtschaftsstarken Mittelmeerregion zu erreichen sei. Die Linksrepublikaner wollen eine deutlich ruhigere Gangart einschlagen und den Frontalzusammenstoß mit Madrid vermeiden. Davon versprechen sich viele ihrer inhaftieren Parteiführer wie der ehemalige, zu 13 Jahren Jahren Haft verurteilte, Vize-Regierungschef Oriol Junqueras unter anderem in naher Zukunft vorzeitige Hafterleichterungen, aber auch größeren politischen Erfolg auf dem Weg zur Loslösung von Spanien.
Unterdessen versucht JxCat, die politische Spannung aufrecht zu erhalten, die Straßenproteste anzuheizen und den Konflikt zu internationalisieren, was natürlich auch stark mit der Exil-Situation ihres Parteigründers Carles Puigdemonts zu tun hat. Seitdem Kataloniens ehemaliger Regierungschef als Hauptverantwortlicher des Unabhängigkeitsreferendums vor der spanischen Justiz nach Belgien floh, gibt es Dauerstreit zwischen den beiden separatistischen Formationen.
Aus diesem Grund sprechen sich die Linksrepublikaner auch für sofortige Neuwahlen in Katalonien aus, die sie voraussichtlich klar vor JxCat von Regierungschef Quim Torra gewinnen dürften. Auch am Sonntag könnten die Linksrepublikaner bei den spanischen Parlamentswahlen laut Umfragen rund 14 Sitze erobern, während JxCat mit sechs Mandaten gerade einmal die Hälfte bekäme und die linksradikale CUP auf vier Sitze zulegen könnte.
Katalonienkonflikt überschattet Wahl
Wie vehement der Konflikt und Richtungsstreit zwischen den katalanischen Separatistenparteien ist, zeigt gerade der Wahlkampf zu den spanischen Parlamentswahlen am Sonntag. Während die mächtige, von JxCat stark dominierte separatistische Bürgerplattform ANC die Bürger zur Wahl von JxCat aufruft, wurden überzeugte Unabhängigkeitsvertreter wie ERC-Fraktionssprecher Gabriel Rufian auf den jüngsten Protestdemos ausgebuht. Die ANC erklärte sogar, sie werde keine Wahlempfehlung für die ERC abgeben, solange diese nicht schriftlich bestätige, Spaniens sozialistischen Regierungschef Pedro Sanchez nicht erneut ins Amt zu helfen.
Doch für die Linksrepublikaner sei Sanchez das kleinere Übel, sagt Experte Molina. Eine von der rechtspopulistischen Vox unterstützte Mitte-Rechts Koalition zwischen Konservativen (PP) und den rechtsliberalen Ciudadanos, die erneut eine politische Eiszeit zwischen Madrid und Barcelona einläuten würde, wollen sie zumindest verhindern.
Unterdessen überschattet der Katalonien-Konflikt auch weiterhin den spanischen Wahlkampf. Am Mittwoch kündigte die spanische Zentralregierung an, am Wahlwochenende bis zu 4500 zusätzliche Polizeikräfte aus anderen Regionen Spaniens zur Unterstützung der katalanischen Regionalpolizei Mossos d‘Esquadra nach Katalonien zu schicken. Der Grund: Obwohl in Spanien am Tag vor dem Urnengang und am Wahlsonntag politische Demonstrationen gesetzlich verboten sind, gab Kataloniens Regierungschef Quim Torra verschiedenen Organisationen „grünes Licht“ zum „friedlichen Protest“, „wissend, dass unter anderem die Belagerung von zahlreichen Wahllokalen geplant ist“, so Molina.
Ausschreitungen vorprogrammiert
Ausschreitungen und Konfliktsituationen mit der Polizei sind damit vorprogrammiert. Nach den jüngsten Straßenschlachten mit fast 200 Verletzten und bis zu 600 Festnahmen in Barcelona ist die Stimmung ohnehin schon sehr aufgeladen, das Gewaltpotenzial hoch. Am Montag bedurfte es eines erneuten Großeinsatzes der Polizei, um die Sicherheit der spanischen Königsfamilie zu garantieren, welche zur Vergabe der „Fürstin-von-Girona-Preise“ in die katalanische Mittelmeermetropole gereist war.
Zusätzlich goss ausgerechnet Ministerpräsident und Wahlfavorit Pedro Sanchez am Mittwoch im staatlichen Radio RNE Öl ins Feuer. Sanchez erklärte, die Staatsanwaltschaft angewiesen zu haben, Separatistenführer Puigdemont möglichst bald aus Belgien nach Spanien zu überführen, um ihn vor die spanische Justiz zu bringen. Der Aufschrei war riesig. JxCat-Fraktionssprecherin Laura Borras sah darin eine Bestätigung für die Behauptung, dass Puigdemont politisch verfolgt würde und Spaniens Justiz politisch nicht unabhängig sei. Auch die Vereinigung der Staatsanwälte pochte auf die Unabhängigkeit der spanischen Justiz. (APA)