„American Idiot“: Grooven gegen die Depression
Einfach perfekt: Premiere des Musicals „American Idiot“ unter der Regie von Landestheaterchef Johannes Reitmeier in München.
Von Jörn Florian Fuchs
München –Natürlich ist der (noch lange?) amtierende US-Präsident auch dabei. Zu Beginn von „American Idiot“ flimmert er überlebensgroß über die Bühne des Münchner Prinzregententheaters. Bald steht ihm Ex-Kollege Bush junior zur Seite, dann folgen aufgebrachte Menschenmassen, bald haben die mittlerweile aufgetauchten, lebendigen Jungs und Mädels die Schnauze voll und bekämpfen ihren und unseren Frust mit Tanz, Gesang, Drama.
Regisseur Johannes Reitmeier (Intendant des Tiroler Landestheaters Innsbruck, wo diese Produktion ab 12. Dezember zu sehen ist) hält sich mit plakativem Amerika-Bashing zurück und verzichtet auch sonst auf Musical-Klischees. Nein, es gibt keine schwule Liebesgeschichte (aber immerhin ein recht transiges Zwischenwesen), es wackeln nicht Hintern und Hüften um des Wackelns willen, es fehlt der Liebeskitsch. Stattdessen gibt es einen brillant gemachten, von Stefanie Erb perfekt choreografierten Neunzigminüter mit raschem Szenenwechsel und nie nachlassendem Drive.
Textvorlage und Musik stammen von der kultigen US-Punkband Green Day, die ihr 2004 erschienenes Album ein paar Jahre später zum – sehr erfolgreichen – Musical hochrüsten ließ. Wir folgen drei Jungs in der Provinz mit ihren Scheinträumen im Drogenrausch und echten Hoffnungen auf Liebe, Glück, Zukunft. Mal triste, mal wilde Partys wechseln mit beat-grundierter Melancholie, Chart-Ohrwürmer („Boulevard of Broken Dreams“, „Jesus of Suburbia“) werden durch knisternd kraftvolle Zwischenklänge geschickt miteinander verbunden.
Für den perfekten Green- Day-Sound sorgen ein Streichertrio sowie Vanden Plas, selbst eine Art Veteranen-Punk-Combo, allerdings mit einem echten Dirigenten: Günter Werno (der zugleich am Keyboard sitzt).
Apropos Veteranen: Eine Szene zeigt verletzte, in Kriegen verheizte Jungs im Krankenhaus, da gibt es Leid und Hirnoperationen, aber auch eine sinnliche Krankenschwester, die mit sexy Outfit und ebensolchen Vokalisen erheblichen Eindruck macht.
Das Ensemble besteht großteils aus Nachwuchskräften der Bayerischen Theaterakademie August Everding. Man kann nur sämtliche von Musik und Szene längst weggepustete Kopfbedeckungen ziehen: Großartig! Die wenigen Ausfälle waren meist mangelhaften Mikroports geschuldet.
Wenn man unbedingt Namen will: Edward R. Serban (als Johnny – Leader of the Pack), Marcella D’Agostino (Whatshername, so heißt das von Johnny erst angeschmachtete, dann verlassene weibliche Wesen), Andy Kuntz (St. Jimmy, Undergroundpoet und Drogenbaron, im echten Leben bereits Musical-Veteran) sind starke Stimmen und Performer. Nichts wie hin!