Britischer Oppositionsführer Corbyn unter Druck
Der britische Oppositionsführer Jeremy Corbyn hat zum Wahlkampfauftakt mit dem Rücktritt seines Stellvertreters sowie massiven Antisemitismus-Vorwürfen zu kämpfen. Der stellvertretende Labour-Vorsitzende Tom Watson, der als erklärter Verfechter eines Verbleibs des Königreiches in der Europäischen Union gilt, erklärte am Mittwochabend überraschend seinen Rücktritt.
Am Donnerstag bezweifelte dann der frühere Labour-Minister Ian Austin die Eignung Corbyns als Premierminister und warf ihm Antisemitismus vor. Zudem rief der „Jewish Chronicle“, der als Sprachrohr der jüdischen Gemeinde in Großbritannien gilt, dazu auf, Corbyn die Stimme zu verweigern.
Watson erklärte zu seinem Rücktritt: „Diese Entscheidung ist persönlich, nicht politisch.“ Allerdings wurde angesichts des Zeitpunkts exakt zum Wahlkampfauftakt allgemein von einer gezielten Attacke gegen den Parteichef ausgegangen. Watson will Großbritannien unbedingt in der EU halten und liegt damit nicht auf einer Linie mit Corbyn, der sich im Brexit-Streit nicht auf eine Position festlegen will.
Im September war der moderate Watson auf dem Labour-Parteitag nur knapp einer von Corbyn-Vertrauten angestrebten Entmachtung entgangen. Der dem linken Flügel angehörende Parteichef versicherte damals, er habe im Vorfeld nichts von dem Manöver seiner Vertrauten gewusst.
Am Donnerstag dann riet Ex-Minister Austin davon ab, die Labour-Partei zu wählen. Stattdessen sollten die Wähler der konservativen Tory-Partei ihre Stimme geben. Zur Begründung führte Austin an, dass Corbyn „unfähig“ sei, das Amt des Premierministers auszuüben. Er verwies in der BBC vor allem auf den „Antisemitismus, der die Partei unter der Führung von Jeremy Corbyn vergiftet hat“.
Ebenfalls am Donnerstag veröffentlichte der „Jewish Chronicle“ im Internet einen äußerst seltenen Aufruf an nicht-jüdische Leser. Darin werden diese aufgefordert, mit ihrer Stimme ein Zeichen gegen „Rassismus“ zu setzen - und nicht Corbyn zu wählen. Laut einer vom „Jewish Chronicle“ zitierten Umfrage glauben 87 Prozent der in Großbritannien lebenden Juden, dass Corbyn antisemitische Überzeugungen habe.
In der Labour-Partei wird seit Monaten über Antisemitismus in den eigenen Reihen debattiert. Corbyn hatte im vergangenen Jahr eingeräumt, dass Labour ein „echtes Problem“ mit Antisemitismus habe. Dem Palästina-Aktivisten wurde auch selbst immer wieder Antisemitismus vorgeworfen.
Unterdessen schlossen die proeuropäischen Liberaldemokraten ein Bündnis mit zwei anderen Parteien. In 60 Wahlkreisen in England und Wales wollen sich LibDems, Grüne und die walisische Plaid Cymru nicht gegenseitig Konkurrenz machen, wie die Parteien mitteilten. Vielmehr wollen sie bei der Abstimmung am 12. Dezember gemeinsam den Pro-EU-Kandidaten unterstützen, dem jeweils die besten Chancen gegen die großen Parteien - die Konservativen und Labour - eingeräumt werden. Insgesamt gibt es 650 Wahlreise.
Unterstützt wird der Wahlpakt von der überparteilichen Initiative Unite to Remain. „Dies ist eine Brexit-Wahl, und ein Verbleib in der EU ist möglich - dies ist ein entscheidender Moment“, sagte die Vorsitzende der Initiative, Heidi Allen. Parteipolitik werde beiseite gelassen, um gemeinsam den „Remain“-Kandidaten Rückenwind zu geben. Labour sei nicht Teil der Allianz. Die Sozialdemokraten seien nicht einheitlich für den Verbleib in der EU, sondern wollten selbst einen Brexit-Vertrag aushandeln, sagte Allen dem Sender BBC Radio 4.