Keine patriarchale Gesellschaft – weniger Gewalt?
18 Frauen wurden heuer ermordet. Konfliktforscherin Birgitt Haller plädiert dafür, Stereotypen aufzubrechen – schon im Kindergarten.
Wien – Heuer sind 18 Frauen von ihren (Ex-)Partnern oder von einem Familienmitglied getötet worden. Die TT hat mit Birgitt Haller vom Institut für Konfliktforschung über diese traurige Bilanz gesprochen.
Welche Muster stecken hinter diesen Morden?
Birgitt Haller: Wenn Frauen von ihren (Ex-)Partnern ermordet werden, geht es fast immer um Besitzanspruch. Nach dem Muster: Wenn ich sie nicht haben darf, dann darf sie niemand haben. Ich habe vor mehreren Jahren eine Studie erstellt und mir unter anderem Gerichtsakten angesehen: Da war dieses Denken sehr auffällig.
In den beiden Fällen zuletzt in Kottingbrunn und in Kitzbühel ist das der Grund ...
Haller: Was ich interessant gefunden habe, ist, dass den Männern die Fantasie reicht, dass die Frau jemand anderen hat. Da ging es nicht einmal um Frauen, die sich schon getrennt hatten. Der glaubt, sie hat einen Liebhaber – und das geht gar nicht.
Was kann man dagegen tun?
Haller: Für mich hat das in erster Linie etwas mit Geschlechter-Stereotypen zu tun. Es gibt viele Projekte – schulische und außerschulische Maßnahmen, wo man daran arbeitet, dass Mädchen und Buben nicht in diesen alten traditionellen Klischees weiter erzogen werden. Da gehört dazu: Ein Indianer weint nicht. Das Mädchen darf weinen, ist still und passiv. Der Bub darf vielleicht eher zuschlagen – also er ist es, der als wehrhaft verstanden wird. Da ist der Weg in die Gewalt manchmal kurz.
Um diese Stereotypen aufzubrechen, muss man schon im Kindergarten ansetzen?
Haller: Genau – man muss aber auch dran bleiben. Da reicht eine einmalige Intervention nicht. Da ist es auch hilfreich, dass in der Familie solche Muster durchbrochen werden. Grundsätzlich: Wäre unsere Gesellschaft anders organisiert und wäre es keine patriarchale Gesellschaft, dann würde das wahrscheinlich mit der Gewalt von Männern gegen Frauen anders ausschauen.
Sie haben Präventionsmaßnahmen angesprochen und dass man von klein auf beginnen muss. Was ist aber mit den Fällen, wo sich Gewalt schon anbahnt?
Haller: Das ist schwierig, weil man jemanden schon genau im Visier haben müsste, um zu sehen, dass das in Richtung Gewalt geht. Wenn eine Frau einmal Gewalt bemerkt hat beim Partner, dann macht etwa das Gewaltschutzzentrum eine Evaluierung. Man überprüft dann bestimmte Vorfälle. Dann sieht man auch, ob das Risiko höher ist. Andererseits hat Gewalt meistens eine lange Vorgeschichte. Es gibt schon Hinweise.
Müssten dann auch die Familien oder die Nachbarn sensibilisiert werden und das melden?
Haller: Frauen, die Gewalt erleben, genieren sich leider dafür. Sie erzählen das nicht der Nachbarin und wahrscheinlich auch nicht der Freundin – zumindest lange Zeit nicht. Wenn man offener darüber sprechen würde und den betroffenen Frauen klar wäre, ER ist der Täter, ER hat ein Problem, mit IHM gehört etwas gemacht, wäre es für Frauen leichter, von sich aus das anzusprechen.
Es ist in Österreich ja nicht so, dass es nicht viele Hilfsangebote gäbe. Aber familiäre Gewalt ist immer noch tabu. Das macht ein Outing schwierig. Es gibt ja Anti-Gewalt-Trainings für Männer. Es ist sehr wichtig, dass man mit Gewalttätern arbeitet – auch mit Männern, die selbst merken, dass sie vielleicht mit Gewalt reagieren. Das kann noch vor dem ersten Zuschlagen sein. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass das langfristig sein muss. Zum Beispiel dauert das Anti-Gewalt-Training der Männerberatung Wien neun Monate – das ist lang.
Gibt es ausreichend Hilfsangebote für Frauen in Österreich?
Haller: Ich denke schon. Aber nicht alle Frauen, die Unterstützung brauchen, nehmen das auch in Anspruch. Dann gibt es auch die Ebene: Er liebt mich ja und er ist immer nett, außer er hat etwas getrunken. Man ist auch so sozialisiert, dass man bei manchen Sachen wegschaut. Diese rosarote Brille ist manchmal gefährlich, dieses Schönreden, weil man es nicht wahrhaben will. Bei meiner Untersuchung damals waren Täter dabei, die psychisch krank waren. Da stellt sich die Frage: Will ich mich von jemandem trennen, der früher einmal nett war, jetzt aggressiv und gewalttätig ist? Aber eigentlich ist er ja nur krank – und sollte ich jemanden hängenlassen, der krank ist? Da gibt es gefährliche Ambivalenzen. Je mehr das Thema öffentlich besprechbar ist, desto eher gerate ich auch an eine helfende Stelle.
Zur Person:
Dr.in Birgitt Haller: Die Kufsteinerin ist Leiterin des Instituts für Konfliktforschung in Wien. Sie hat Politikwissenschaften und Jus an der Uni Innsbruck studiert.
Das Gespräch führte Serdar Sahin