Ära Morales endet nach 13 Jahren: Boliviens Präsident tritt zurück
Nach landesweiten Protesten wegen mutmaßlichen Betrugs bei der Präsidentschaftswahl hatte Morales am Sonntag seinen Rücktritt verkündet, nachdem er auch den Rückhalt der Armee und Polizei verloren hatte.
La Paz – Nach landesweiten Massenprotesten gegen seine umstrittene Wiederwahl hat Boliviens Staatschef Evo Morales am Sonntag seinen Rücktritt verkündet. „Ich verzichte auf mein Präsidentenamt“, sagte Morales Sonntag im Fernsehen. Kurz zuvor hatte er den Rückhalt der Führung von Armee und Polizei verloren, die ihn ebenso wie die Opposition zum Rücktritt aufforderten, obwohl er erstmals Neuwahlen versprach.
Angesichts zunehmender Gewalt bei den Protesten, einer Serie von Rücktritten im eigenen Lager und massiven Vorwürfen von Wahlbetrug blieb Morales am Ende nur der Rücktritt. „Unser großer Wunsch ist es, dass der soziale Frieden wiederkehrt“, sagte der 60-Jährige am Sonntag in einer Fernsehansprache. Er trete zurück, um die Gewalt der Opposition zu stoppen. Die Welt solle erfahren, wie sich Oligarchen gegen die Demokratie verschworen, sagt er. Morales hatte zuvor von einem Putschversuch gegen sich gesprochen.
Tausende feierten den Abgang des Präsidenten
Nach der Ankündigung seines Rücktritts hat Morales auf Twitter erklärt, dass die Polizei einen „illegalen“ Haftbefehl gegen ihn habe und dass „gewalttätige Gruppen“ sein Haus angegriffen hätten. Der Chef der bolivianischen Polizei äußerte dagegen in einem Fernsehinterview, es gebe keinen Haftbefehl gegen Morales.
Nach der Ankündigung des 60-jährigen Dauer-Präsidenten strömten Tausende Menschen auf die Straßen der Hauptstadt La Paz, schwenkten die bolivianische Fahne und feierten den Abgang von Morales mit Böllern. Der frühere Koka-Bauer war seit 2006 in Bolivien an der Macht.
Im Oktober war er für eine vierte Amtszeit angetreten. Boliviens Verfassung hätte eine weitere Kandidatur des Präsidenten eigentlich nicht zugelassen, das Verfassungsgericht gestand Morales 2017 aber das Recht auf eine weitere Amtszeit zu. Die Präsidentschaftswahl vom 20. Oktober war hochumstritten, das offizielle Ergebnis wurde von der Opposition wegen Vorwürfen des Wahlbetrugs nicht anerkannt.
Unregelmäßigkeiten in beinahe jedem Bezirk
Zuletzt hatte am Sonntag auch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) wegen weitverbreiteter, schwerwiegender Unregelmäßigkeiten gefordert, die Wahl für ungültig zu erklären. In einem vorläufigen OAS-Bericht hieß es, in beinahe jedem untersuchten Bezirk habe es Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung gegeben. Die „Manipulationen“ bei der Wahl seien derart schwerwiegend, dass sie vom bolivianischen Staat eingehend untersucht werden müssten.
Morales kündigte daraufhin Neuwahlen an, zudem sollten alle Mitglieder des Obersten Wahlgerichts ausgetauscht werden. Er machte allerdings weder Angaben zum Zeitpunkt der Wahlen noch dazu, ob er selbst wieder antreten wolle.
Morales‘ Herausforderer bei der Wahl, Carlos Mesa, forderte daraufhin den Rücktritt des Staatschefs, wenn dieser „noch einen Funken Patriotismus“ habe. Auch einer der Anführer der Protestbewegung, Luis Fernando Camacho, forderte dies. Bürgerkomitees, die der Protestbewegung Auftrieb verliehen hatten, forderten, dass sowohl Morales als auch Mesa bei Neuwahlen nicht mehr antreten sollten.
Gewalt gegen Politikerfamilien
Anschließend überstürzten sich die Ereignisse: Zwei Minister und der Parlamentspräsident traten zurück, nicht zuletzt weil es bei den Protesten zu Gewalttätigkeiten gegen Familienangehörige der Politiker kam. Dann wandte sich auch noch die Armee- und Polizeiführung von Morales ab. Der Präsident solle zurücktreten, um eine „Befriedung“ des durch Massenproteste erschütterten Landes und den „Erhalt der Stabilität“ zu ermöglichen, sagte Armeechef Williams Kaliman.
Bei den wochenlangen Protesten infolge der Präsidentschaftswahl waren drei Menschen ums Leben gekommen, mehr als 380 weitere wurden verletzt. Zuletzt spitzte sich die Lage in dem südamerikanischen Land von Stunde zu Stunde zu.
Schließlich verkündete Morales seinen Rücktritt – von seiner Heimatregion Cochabamba in Zentralbolivien aus. Er war der erste indigene Präsident eines lateinamerikanischen Landes. In Bolivien, einem der ärmsten Länder der Region, in dem 62 Prozent der Bevölkerung indigener Abstammung sind, war Morales zu Beginn seiner ersten Amtszeit als Unterstützer und Förderer der unteren Gesellschaftsschichten hoch angesehen.
Mexiko bot Morales Asyl an
Zwar floriert Bolivien – das Armenhaus Südamerikas – unter dem Sozialisten wirtschaftlich, doch sein zunehmend selbstherrliches und autoritäres Gehabe stieß immer mehr Bolivianern bitter auf. Vor allem die Menschen im wirtschaftlich starken Osten des Landes fühlen sich von Morales über den Tisch gezogen.
In den sozialen Netzwerken wurde am Sonntag darüber spekuliert, ob Morales sich ins Ausland absetzen würde. Die linksgerichteten, mit Morales lange verbündeten Regierungen in Kuba und Venezuela verurteilten die Vorgänge in Bolivien nachdrücklich und sprachen von einem „Staatsstreich“.
Mexiko hat dem linksgerichteten Politiker sogar Asyl angeboten. Zuvor hätten 20 Regierungsvertreter und Abgeordnete Zuflucht in der mexikanischen Botschaft in Boliviens Hauptstadt La Paz gesucht, schrieb Außenminister Marcelo Ebrard am Sonntag (Ortszeit) auf Twitter. „In Übereinstimmung mit seiner „Tradition des Asyls und der Nichteinmischung“ habe Mexiko die Politiker aufgenommen und biete auch Morales Asyl an. (APA, AFP, dpa, Reuters)