Neue Untersuchung zur Kindererziehung: Allein die Strafdrohung wirkt
Erziehung mit Zuckerbrot und Peitsche ist nicht zeitgemäß. Verhaltensökonom Matthias Sutter erforschte aber mit 967 Tiroler Kindern, dass Sanktionen die Kooperation erhöhen.
Von Beate Troger
Innsbruck –Kinder wollen kooperieren. Das ist der meistzitierte und vielleicht wichtigste Satz von Jesper Juul, dem angesehenen Erziehungsexperten. Juul propagierte stets, dass Kooperation die Grundlage von Erziehung und Beziehung sei. Sanktionen und Strafen ordnete er als „Machtmissbrauch“ ein.
Matthias Sutter, Verhaltensökonom an der Universität Innsbruck und Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn, vertritt eine andere Position: „Die Kooperation bei Kindern steigt massiv, wenn ihnen Sanktionen nur angedroht werden.“
Das ist das Ergebnis einer Untersuchung von Sutter und seinem Team unter 967 Tiroler Kindergartenkindern zwischen drei und sechs Jahren. Er wollte vor allem herausfinden, unter welchen Voraussetzungen Kinder am besten zusammenarbeiten. In seinem Forschungsbereich ist die Kooperation „ein großes Thema“, wie er erläutert.
„Es geht darum, dass man, wenn man zusammenarbeitet, mehr erreichen kann als allein.“ Und der Mensch sei immerhin das einzige Lebewesen, das auch mit „Rudelfremden“ kooperiert, also auch mit Menschen, mit denen er nicht verwandt ist.
Für die Studie bekamen die Kinder eine Spielmünze, die sie entweder behalten oder an ihren Spielpartner weitergeben konnten. Wird die Münze weitergegeben, werden zwei draus. „Im Idealfall kooperieren beide Kinder und geben ihre Münzen weiter, sodass beide zwei Münzen haben. Am meisten verdient ein Kind jedoch, wenn es seine Münze behält, vom Spielpartner aber zwei bekommt“, erklärt der Wissenschafter.
Mit den Kindergartlern wurde fünf Runden lang gespielt, jeweils unter verschiedenen Voraussetzungen. So zeigten die Kinder keine erhöhte Kooperationsbereitschaft, wenn anstatt immer mit demselben Partner in jeder Runde mit einem anderen Partner gespielt wurde. In einem weiteren Setting war jedoch noch ein dritter Spielpartner als eine Art Autorität involviert, der eingreifen und die Entscheidung zur Kooperation beeinflussen konnte, indem er etwa die Münze des Kindes wegnehmen konnte. „Allein das Wissen, dass jemand da ist, der das Spielgeld wegnehmen könnte, hat die Kooperation gleich um das Dreifache erhöht“, führt Sutter weiter aus. Der Sanktionsmechanismus müsse aber nicht einmal angewendet werden, erklärt er. Es genüge, dass dieser vorhanden sei.
Übertragen auf die Erziehung lasse sich aus der Erhebung schließen, dass Kinder beispielsweise ihre Spielsachen eher teilen, wenn sie wissen, dass das Nicht-Teilen moniert wird oder, milder ausgedrückt, zu einer Konsequenz führt.
Die wissenschaftliche Erhebung beweise klar, dass es funktioniert. Sutter will aber keine Grundsatzdebatte über Erziehung anzetteln. „Doch es gilt aufzuzeigen, dass eine gewisse Hierarchie oder Autorität sehr hilfreich sein kann, um Feedback zum Verhalten zu geben“, sagt er. Das Ergebnis passt nicht ganz zum pädagogischen Zeitgeist. Jesper Juul warnte, dass Konsequenzen und Wenn-dann-Drohungen das Selbstwertgefühl von Kindern mindern würden.
Doch Belohnung statt Strafe wirkt nicht: „Das zeigt sich bei Boni-Systemen in Unternehmen“, sagt Sutter. Zwar erhöhe die Aussicht auf Prämienzahlungen anfangs die Produktivität, diese sinke später wieder auf das vorige Niveau. „Führungskräfte haben sich so an die Boni gewöhnt, dass sie einen Anspruch darauf erheben.“ Es würde zwar funktionieren, wenn Boni immer weiter erhöht würden, doch das sei für Firmen nicht finanzierbar.
Termin-Tipp:
Matthias Sutter präsentiert seine Ergebnisse im Detail am Freitag, 22. November 2019, um 18.30 Uhr im CCB (Centrum für Chemie und Biomedizin, Innrain 80, Hörsaal L.EG.200). Der Eintritt ist frei, um E-Mail-Anmeldung unter coppinger@coll.mpg.de wird gebeten.