Otto Grünmandl: Erdenschweres, federleicht
Otto Grünmandl wäre heuer 95 Jahre alt geworden. 2020 jährt sich sein Tod zum 20. Mal. In seiner Heimatstadt Hall erinnern Ausstellung und Veranstaltungsreigen an den genialen „Schlamperer“.
Von Joachim Leitner
Hall – Besonders fleißig sei er nie gewesen, sagte Otto Grünmandl (1924-2000) einmal. Sein erstes Lebensjahr etwa habe er im Liegen verbracht. Tatsächlich darf man sich Grünmandls Kindheit in Hall – liegend wie stehend oder gehend, gar laufend – einigermaßen unbeschwert vorstellen. Zunächst. Die Machtübernahme der Nazis und der mehr als mehrheitlich bejubelte „Anschluss“ Österreichs änderte alles. Otto Grünmandls Vater Alfred, Besitzer eines Textilgeschäfts, wurde zum „Volljuden in Mischehe“ erklärt, seine vier Kinder galten als „Mischlinge“. Das Geschäft wurde arisiert, Alfred Grünmandl im Zuge der „Osteraktion“ im Arbeitslager Reichenau interniert. Ottos Schwester Betty gelang die Flucht nach England. Ihr Bruder wollte nachkommen. Als sein Visum eintraf, hatte der Zweite Weltkrieg bereits begonnen. Die Grenzen waren zu. Noch 1944 wurde auch Otto verhaftet. Der Anfeindung und Bedrohung in der NS-Zeit folgten die Demütigungen der Nachkriegsjahre. Wiedergutmachungen mussten gerichtlich erstritten werden.
Für Grünmandls literarische Ambitionen fand sich in diesen Jahren kaum Spielraum. Obwohl mancher Werbespruch für „Grünmandl & Co“ unterstreicht, dass da ein Sprachklauber sondergleichen Sommerkleider und Seidensackos verkauft. Zum freien Schriftsteller wurde Otto Grünmandl erst in den 1960er-Jahren. Vielbepreiste Hörspiele machten ihn bekannt, die mit Theo Peer gestalteten „Alpenländischen Interviews“ berühmt. Grünmandl spielte Theater und in Filmen, seine Kabarettprogramme setzten Maßstäbe.
Die gestern Abend im Stadtmuseum Hall eröffnete Ausstellung „Grünmandl – Geschichte. Gedanken. Bilder“ erzählt auch davon. Zunächst aber erzählt sie, was der Karriere vorrausging: Die Geschichte einer jüdischstämmigen Familie in einer Provinz, deren Provinztribun, Gauleiter Franz Hofer, den Vorsatz gefasst hatte, dem „Führer“ ein „judenfreies Tirol“ zu schenken. In eindrücklichen Exponaten – den rührend radebrechenden Briefen des jungen Otto beispielsweise, der seiner Schwester auf Englisch schrieb, um sich mit der Sprache anzufreunden – wird anschaulich, wie der Ausnahmezustand zum Alltag eines Heranwachsenden wird. Und die Schau führt Mitläufertum vor, absichtsvolles Wegschauen. Wenn etwa der neue Eigentümer des Kaufhauses Grünmandl dessen „Entjudung“ via Anzeige feierlich kundtut. Wovon nach dem Krieg niemand mehr gewusst haben will. Ergänzt werden die Ausstellungsstücke – größtenteils stammen sie aus Otto Grünmandls Nachlass, der seit 2012 im Brenner-Archiv der Universität Innsbruck verwahrt und erforscht wird – durch Stimmungsbilder zum damaligen Status Quo: Das Lager Reichenau, das von Hakenkreuzfahnen umwehte Haller Rathaus. Dort übrigens hängt derzeit einer von Grünmandls bekanntesten Sätzen: „Politisch bin ich vielleicht ein Trottel aber privat kenn ich mich aus.“ Denn die Schau sprengt die Grenzen des Musealen. In ganz Hall „grünmandlt“ es. Und im und ums Kulturlabor Stromboli sowieso. Dort geht die Kleinkunstreihe „Otto Grünmandls Zimmertheater“ ins zehnte Jahr. Weggefährten und Geisteskinder haben sich dazu angekündigt, von Gerhard Polt, der bereits heute im (ausverkauften) Kursaal auftritt über Ernst Grissemann und Andreas Vitásek bis zum aktuellen Grünmandl-Preisträger Markus Köhle, der sein Dramolett „Ein Fußbad im türkisen Meer“ präsentieren wird, das die grünmandl’sche Feststellung „Korruption ist Korruption ist Korruption“ in zeitgeistiger Farbenlehre übersetzt.
In der über mehrere Räume des Stadtmuseums verteilten, von Literaturwissenschaftlerin Maria Piok und Grünmandls Sohn Florian kuratierten Ausstellung wird freilich auch Otto Grünmandls künstlerische Laufbahn nachgezeichnet. Auszüge seiner Texte eröffnen bisweilen unerwartete Beziehungen zwischen Erfahrenem und Erdichtetem, Video- und Tondokumente rufen nicht nur die Kunst, sondern auch das Charisma Grünmandls in Erinnerung – und räumen jeden Zweifel aus: Dieser selbsterklärte „Schlamperer“ war ein Feinstmotoriker, der Erdenschweres zu federleichten Pointen formte.
Zu sehen gibt es unter anderem den Nachbau seines von Stacheldraht gesäumten „Einmannstammtisches“ und eine Klang-Bild-Kabelsalat-Installation des Tiroler Musikers Philipp Ossanna, die dem gelernten Elektrotechniker und großen Ton- und Texttüftler Otto Grünmandl viel Freude gemacht hätte.
Stadtmuseum Hall. Burg Hasegg 3, Hall; Bis 8. März 2020, Fr.–So. 10–17 Uhr. Informationen zum Vermittlungsangebot: stadtmuseum@stadthall.at
Der unbekannte Grünmandl
Als Komiker, als Kabarettist und Volksschauspieler, als Hörspielschreiber und als deren bester Interpret machte sich Otto Grünmandl seit den 1960er-Jahren einen Namen. Insgeheim aber verstand er sich schon in den Jahren davor als Poet und beklagte in Briefen — etwa an seinen engen Freund, den Komponisten Peter Zwetkoff —, dass ihm neben der Arbeit im Familienbetrieb die Zeit zum schreiben fehle. Grünmandls Novelle „Ein Gefangener" erschien 1953 — und wurde schnell vergessen. Nun gibt sie Band eins einer auf fünf Bände angelegten Werkausgabe den Titel — und entpuppt sich als atemraubendes Kunststück: Grünmandl montiert unterschiedlichste Textformen zu einer schonungslosen Studie kriegerischen Irrsinns. Auch Grünmandls frühe Gedichte sind bestechend: Die Sprache ist einfach, der Rhythmus frei, die Bilder von anrührender Klarheit. Der von Maria Piok und Ulrike Tanzer herausgegebene und kenntnisreich kommentierte Band, ermöglicht eine — überfällige — Entdeckung. (jole) Werkausgabe I Otto Grünmandl: Ein Gefangener. Herausgegeben von Maria Piok und Ulrike Tanzer. Haymon, 220 Seiten, 22,90 Euro.