Grünes Licht für Varhelyi: EU-Kommission nun fast komplett

Die neue EU-Kommission ist bis auf einen britischen Kommissarsanwärter nun komplett: Der Außenausschuss des EU-Parlaments hat Ungarns Ersatzkandidaten für den Posten des Erweiterungs- und Nachbarschaftskommissar, Oliver Varhelyi, am Montag Grünes Licht gegeben. Varhelyis Antworten auf die schriftlichen Zusatzfragen haben offensichtlich ausgereicht, hieß es am Montag aus EU-Parlamentskreisen.

Nun muss noch das Plenum des Europaparlaments das gesamte Kollegium bestätigen. Für Varhelyi hatte vergangene Woche nach seinem Hearing vor dem Außenausschuss nicht einmal eine einfache Mehrheit gestimmt. Vor allem Sozialdemokraten und Liberale forderten mehr Auskünfte. Daraufhin bekam der 47-jährige Diplomat bis Montagmittag Zeit für die Beantwortung von fünf zusätzlichen Fragen.

Die Entscheidung der künftigen EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, das Erweiterungsressorts Ungarn zuzuteilen, war aufgrund des gegen Budapest laufenden Rechtsstaatlichkeitsverfahrens von Anfang an umstritten gewesen. Ungarns erster Kandidat, Laszlo Trocsanyi, scheiterte bereits im Rechtsausschuss des Europaparlaments wegen möglicher Interessenskonflikte. Die EU-Parlamentarier warfen ihm Unregelmäßigkeiten der Tätigkeit seiner Anwaltskanzlei in seiner Zeit als Justizminister von 2014 bis 2019 vor.

Mit Varhelyi, der bisher als „ständiger Vertreter“ die Interessen seines Landes bei der EU vertrat, hatte der Rechtsausschuss keine Probleme. Die fünf zusätzlichen Fragen des Außenausschusses zielten unter anderem auf seine politische Heimat in der rechtskonservativen Fidesz-Partei von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban ab. Es wurde sinngemäß hinterfragt, ob er sich von Orban beeinflusst fühlt oder an diesen gebunden sei, oder ob er im Sinne der EU handeln werde. Die ungarische Fidesz ist, wie die ÖVP, formal Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP). Seit März liegt die Mitgliedschaft jedoch auf Eis, Orban werden antieuropäische Umtriebe, autoritäre Züge sowie Einschränkungen der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit vorgeworfen.

Zudem wurde auch danach gefragt, wie er zum Asyl für den ehemaligen nordmazedonischen Regierungschefs Nikola Gruevski in Ungarn steht, ohne diesen namentlich zu nennen. Der Nationalkonservative Gruevski war im Vorjahr in Nordmazedonien rechtskräftig zu einer zweijährigen Haftstrafe wegen Korruption verurteilt worden. Varhelyis Antworten dürften nun ausgereicht haben, um die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit der anwesenden EU-Mandatare zu überzeugen.

Der ÖVP-EU-Abgeordnete Lukas Mandl und außenpolitischer Sprecher der ÖVP im EU-Parlament freute sich am Montagnachmittag, dass der parlamentarische Prozess „so ausgereift bis ins kleinste Detail funktioniert hat“ und kündigte an, Varhelyi „genau auf die Finger“ zu schauen. Die EU-Delegationsleiterin der Grünen, Monika Vana, steht der Besetzung nach wie vor kritisch gegenüber. „Im Hearing hat Varhelyi seine Loyalität gegenüber der EU betont, aber es bleibt abzuwarten, inwieweit es sich hier um ein Lippenbekenntnis handelt“, so die EU-Abgeordnete.

Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie müssten in der EU-Erweiterungs- und -Nachbarschaftspolitik „fest verankert“ sein. Vana erwartet von Varhelyi, „gegenüber unseren europäischen Nachbarn für diese Werte einzutreten.“ Ähnlich sieht es NEOS-EU-Abgeordnete Claudia Gamon. „Wir erwarten von ihm, genauso wie von allen KommissarInnen, dass er die Interessen der Union als Ganzes vertritt und nicht die seines Herkunftsstaates“, so die Liberale.

Nach Ansicht von SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder konnte der Kommissarsanwärter „in einigen Bereichen nachbessern“, er erwartet sich aber „mehr als ein Bekenntnis zur EU“. „Várhelyi muss als Kommissar rasch dazu beitragen, dass wir den schweren Fehler in Bezug auf den verpassten Beginn der Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien und Albanien korrigieren“, so Schieder. FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky hatte im Vorfeld seine Unterstützung für Varhelyi erklärt, „in der Hoffnung, dass hier eine entsprechend vernünftige Stimme in der EU-Erweiterungs-und Nachbarschaftspolitik zum Tragen kommt“.

Die EU-Kommission der designierten EU-Kommissionschefin Von der Leyen soll am 1. Dezember mit einem Monat Verspätung ihr Amt antreten. Die Ablehnung der erstnominierten Kandidaten aus Rumänien, Frankreich und Ungarn hatten Nachnominierungen notwendig gemacht und den institutionellen Wechsel verzögert. Die rumänische Ersatzkandidatin Adina Valean, vorgesehen für das Ressort Transport, und der Franzose Thierry Breton, der statt Sylvie Goulard das Portfolio Industrie und Binnenmarkt übernehmen soll, wurden bereits letzte Woche vom Außenausschuss bestätigt.

Nun fehlt noch ein EU-Kommissar aus Großbritannien. London ist aufgrund der Verschiebung des Brexits auf den 31. Jänner verpflichtet, einen Kandidaten zu nominieren, weigert sich aber, dies vor den Parlamentswahlen am 12. Dezember zu tun. Die EU-Kommission hat daher ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Bis 22. November hat die britische Regierung nun Zeit, ihre Sicht darzulegen.