Film und TV

Zartbittere Szenen vom Ende einer Ehe

© Netflix

Noah Baumbach gelingt mit „Marriage Story“ ein zeitloser, intensiv-leichtfüßiger Film über die Auflösung einer Beziehung.

Von Marian Wilhelm

Innsbruck –„Im Gesetz steht von Liebe kein Wort“, bemerkte die Wiener Scheidungsanwältin Helene Klaar einmal in einem Interview. Von dieser Divergenz zwischen Gesetz und Leben erzählt auch Noah Baumbachs neuer Film „Marriage Story“. Es ist ein Film über das Zerbrechen einer Beziehung durch die Auflösung einer Ehe. Nicole und Charlie sind seit über zehn Jahren ein Paar. Auch beruflich. Sie arbeiten an einem New Yorker Off-Theater. Er als Regisseur, sie ist Schauspielerin. Sohn Henry ist im Volksschulalter. Doch die Geschichte beginnt mit dem Beziehungsende. Im Zimmer eines Paartherapeuten sollen sie sich gegenseitig positive Eigenschaften des anderen vorlesen. Ein wunderbares Trugbild. Ein Spiel, bei dem die beiden Figuren nicht mitspielen. Und so ist diese „Ehegeschichte“ über ruhige 136 Minuten auch ein Lehrstück über das Erzählen selbst. Erst im Erzählen wird die Trennung Wirklichkeit. Alltägliche Details werden in der Rückschau zu isolierten Ereignissen, die sich unterschiedlich ausdeuten lassen, eine gemeinsame Geschichte wird zu zwei verschiedenen Geschichten. Der Film vollzieht diese Veränderung mit. Und er kämpft gegen sie an. Denn Baumbachs Sympathie gilt der ganzen Familie und ihren Mitgliedern. Er schlägt sich auf keine Seite, zeichnet Eskalationsschritte nach. Schlafwandlerisch schlittern Nicole und Charlie, die sich anfangs gütlich im Sinne ihres Sohnes einigen wollten, in einen juristischen Rosenkrieg. Rund um den Gerichtssaal entwickelt sich ein theatrales Spiel, das nach und nach auf alle Lebensbereiche übergreift. In diesem Spiel sind die beiden Theater-Profis Laiendarsteller. Sie verlieren die Kontrolle. Die Figuren bewegen sich durch die Häuser und Wohnungen in New York und Los Angeles, die einst ein Zuhause waren, oder solche, die es noch nicht sind: ein Hotelzimmer, ein leeres Apartment mit Erinnerungsfotos an den Wänden, der Proberaum des Theaters am Times Square.

Mit meisterhafter Hand navigiert Baumbach mit seiner Schnittmeisterin Jennifer Lame durch die Szenen dieser Scheidung. Anders als bei Ing­mar Bergman, an den ein Artikel an der Wand im Haus von Nicoles Mutter erinnert, in „Szenen einer Ehe“ oder François Ozon in „5 x 2“ entwickelt sich der Film ganz organisch, beinahe sanft. Immer wieder löst sich die dramatische Stimmung für Momente slapstickhafter Leichtigkeit. Darin wird die Verwandtschaft von Baumbach mit seinem filmischen New Yorker Nachbarn Woody Allen deutlich, der in seinen besten Beziehungs-Tragikomödien wie „Hannah and her Sisters“ Ähnliches zustande brachte.

Scarlett Johansson und Adam Driver lassen als schauspielende Charaktere ihre Masken fallen und geben alles, ergänzt durch ein tolles Ensemble, durch den phänomenalen Auftritt von Laura Dern zum Beispiel, die eine Anwältin spielt.

Und so ist „Marriage Story“ am Ende zwar die Geschichte einer Trennung mit all ihren Kämpfen, die in einem intensiven Streit gipfeln. Doch auch die Scheidung ist nur eine Story. Genauso wie die Ehe zuvor. Die Emotionen selbst jedoch macht Baumbach nie zur Fiktion. Sie gehen der Geschichte voraus und folgen ihr, doch sie bleiben bis zum Schluss die ambivalente, widersprüchliche Wahrheit einer Beziehung.

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