Tote bei Iran-Protesten, internationale Kritik nimmt zu
Bei den landesweiten Protesten im Iran gegen höhere Benzinpreise sind nach Angaben iranischer Medien seit Freitag neun Menschen ums Leben gekommen. Es handle sich um vier Demonstranten, drei Mitglieder der Revolutionsgarden und zwei Polizisten, hieß es in den Berichten der staatlich kontrollierten Medien vom Dienstag. Das UNO-Menschenrechtskommissariat rief Teheran zu Zurückhaltung auf.
Berichte in sozialen Medien, dass die Zahl der Opfer und Festgenommenen wesentlich höher liege, ließen sich zunächst nicht überprüfen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht gar von mindestens 106 Toten in 21 Städten.
Verifiziertes Videomaterial, Aussagen von Augenzeugen und Informationen von Aktivisten außerhalb des Irans offenbarten ein entsetzliches Muster gesetzeswidriger Tötungen durch iranische Sicherheitskräfte. Die Berichte wurden im Iran offiziell nicht bestätigt.
Zwar sprach die Regierung am Montag von einer leichten Beruhigung der Lage, aber die weitgehende Sperrung des Internets den vierten Tag in Folge wurde als Hinweis darauf gedeutet, dass es noch Unruhen und Proteste geben könnte. Es handelt sich um die größte Protestwelle seit dem Winter 2017/18, als 25 Menschen getötet worden waren.
Das Vorgehen der iranischen Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten lösten international Kritik und Sorge aus. Das UNO-Menschenrechtsbüro rief die Regierung in Teheran am Dienstag dazu auf, mit der Bevölkerung in einen Dialog zu treten. „Proteste dieser Art und dieses Ausmaßes sind ein Zeichen für tiefsitzende und oft begründete Missstände, die nicht einfach beiseite geschoben werden können“, sagte UNO-Sprecher Rupert Colville in Genf. „Wir rufen die iranischen Behörden und Sicherheitskräfte auf, den Einsatz von Gewalt zur Auflösung friedlicher Versammlungen zu vermeiden.“
„Wir sind sehr besorgt über die berichteten Verstöße gegen internationale Normen und Standards hinsichtlich der Anwendung von Gewalt, eingeschlossen der Verwendung von scharfer Munition gegen Demonstranten“, so Colville. Er rief die Regierung auch dazu auf, den Zugang zum Internet und zu anderen Kommunikationsformen sofort wiederherzustellen.
Das Internet war abgeschaltet worden, um die Koordination der Demonstranten zu erschweren und die Veröffentlichung von Bildern der Proteste zu verhindern. Ein Regierungssprecher sagte am Dienstag, das Internet werde nach und nach in Provinzen wieder eingeschaltet werden, in denen es „nicht missbraucht“ werde. Ein Justizsprecher rief die Bevölkerung auf, Unruhestifter den Behörden zu melden.
Einigen Anführern der Proteste in dem islamischen Land droht einem Bericht der iranischen Zeitung „Keyhan“ zufolge die Todesstrafe. Ihnen sei es nicht um den Protest gegen die drastische Verteuerung und die Rationierung von Benzin gegangen, sondern um Sabotage und Zerstörung, schrieb die Zeitung am Dienstag. Sie gilt als Sprachrohr der Hardliner im Iran. Weder die Justiz noch die Regierung äußerten sich zunächst zu dem Bericht.
Einige der festgenommenen Anführer der Proteste hätten „gestanden“, vom Ausland finanziert, gelenkt und mit Waffen ausgestattet worden zu sein, schrieb „Keyhan“. Die Justiz werde deshalb „im Einklang mit dem Strafgesetz und den islamischen Vorschriften“ die Todesstrafe für sie fordern. Auch die Revolutionsgarden, die dem System besonders loyale Elitetruppe des Landes, drohten, sie würden gegen „Krawallmacher“ hart durchgreifen.
Medienberichten zufolge wurden mehrere Fußballspiele der ersten Liga in Städten im Süden und Nordwesten des Landes abgesagt. Dort sollen die Unruhen besonders heftig sein. Nach Einschätzung von Beobachtern befürchten die Verantwortlichen auch in den Stadien Proteste und Spannungen.
In Tabris und Shahr-e Kods demonstrierten zahlreiche Menschen am Dienstag gegen die „Randalierer“. „Proteste sind das Recht des Volkes, Randale sind das Werk der Feinde“, riefen sie in der nordwestlichen Großstadt Tabris laut der Nachrichtenagentur Fars. In Teheran waren im Zentrum zwei ausgebrannte Tankstellen und eine zerstörte Polizeistation zu sehen. Hunderte Polizisten sicherten zentrale Plätze mit Wasserwerfern.
Der Iran steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise, die durch die harten US-Sanktionen gegen das Land ausgelöst wurde. Als Konsequenz daraus hatte die iranische Regierung in der Nacht zum Freitag Benzin rationiert und zugleich die Kraftstoffpreise erhöht, was heftige Proteste auslöste. Die US-Regierung, die es mit einer Politik des „maximalen Drucks“ darauf anlegt, die Regierung in Teheran zu einer Neuverhandlung des internationalen Atomabkommens zu zwingen, hatte die Gewalt der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten und die Internetsperre bereits kritisiert.