Martina Beleva: „Den Balkan gibt es nicht“
Martina Baleva bringt einen Osteuropaschwerpunkt mit an die Uni Innsbruck. Bald will die Professorin hier auch wieder Kunst zeigen.
Von Barbara Unterthurner
Innsbruck –Sie ist die Neue. Obwohl sie bereits seit März in Innsbruck ist. Martina Baleva trat im vergangenen Sommersemester als Professorin die Nachfolge von Christoph Bertsch an, der seit 1988 für die „Neueste Kunstgeschichte“ an der Universität Innsbruck zuständig war.
In diesem Semester hält Baleva u. a. ein Seminar zu Videokunst, im Frühjahr besuchte sie mit ihren Studierenden die Kunstbiennale in Venedig. Nicht selbstverständlich, lag das Gebiet der zeitgenössischen Kunst an der Uni nicht erst seit Ausscheiden von Bertsch 2017 doch quasi brach. Die Studierenden nähmen ihr Angebot dementsprechend interessiert an, erzählt Baleva im Gespräch.
Die 1972 in Sofia geborene Kunsthistorikerin bringt mit ihrer Ausrichtung auf Kunst- und Bildgeschichte des östlichen Europas zusätzlich einen Schwerpunkt mit nach Innsbruck, der am Institut für Kunstgeschichte bisher eher wenig Beachtung fand. In den letzten Jahren habe sie zusätzlich den Nahen Osten für ihre Forschung entdeckt, erläutert Baleva. „Mein Interesse liegt auf Themen außerhalb des Kanons. Es geht darum, den geografischen Raum auszuweiten – Themen machen nicht an Grenzen Halt. Auch die Kunstwissenschaft kann man heute nicht mehr von den benachbarten Disziplinen abtrennen.“
Beide Entgrenzungsstrategien verfolgte Baleva in ihrer ersten Innsbrucker Ringvorlesung zum Wendejahr 1989 (noch bis 28. Jänner) ebenso wie in ihrer Publikation „Den Balkan gibt es nicht“, die auf eine Vorlesungsreihe an der Uni Basel zurückgeht. Dort lehrte die gebürtige Bulgarin bis 2017.
Bereits seit Anfang der Neunziger diskutiere man den Begriff „Balkan“, so Baleva; die Jugoslawienkriege werden oftmals ja auch Balkankriege genannt. Der Ausdruck „Balkan“ wurde, das versucht Baleva in ihrer Forschung nachzuzeichnen, im Laufe der Zeit besonders negativ aufgeladen: „Als Balkan bezeichnen wir eine bestimmte Region, haben dazu auch eine bestimmte Vorstellung im Kopf, von einem rückständigen Gebiet etwa“, erklärt die Uni-Professorin.
Umgemünzt hat sie diese These auch auf die Bildgeschichte. In ihrer Dissertation beschäftigte sich Baleva auch damit, welches Bild westliche Medien vom Balkan haben. Provokantes Resümee: Den Balkan als solches gebe es nicht, es handle sich dabei vielmehr um ein Konstrukt voller Klischees, die ständig reproduziert werden. Was auch deshalb problematisch ist, weil diese Bilder schon im 19. Jahrhundert vor allem Stereotype, etwa die Bereitschaft zur Gewalt, verwendeten. „In den Fokus der Aufmerksamkeit kam der Balkan fast ausschließlich in Konfliktsituationen, etwa Kriegen.“ Hier lässt sich auch ein Anknüpfungspunkt zur Gegenwart finden: „Sehen Sie sich die Berichterstattung über die ,Westbalkanroute‘ im Zuge der Flüchtlingskrise heute an.“ Der Balkan könne nicht neutral gesehen werden, so Baleva. Und sogar Ausstellungen über osteuropäische Kunst würden größtenteils bloß Klischees zementieren, ergänzt die Kunsthistorikerin. Als prominentes Beispiel nennt Baleva die bereits im Titel vielsagende Schau „Blut und Boden“, die Überkurator Harald Szeemann 2003 im Essl-Museum zeigte.
Eine neue Art der Aufarbeitung von Themen wie dem Jugoslawienkrieg sei auf künstlerischer Seite zurzeit jedenfalls im Gange, erklärt Baleva. Direkte Anknüpfungspunkte gibt es für sie auch in Innsbruck: Gleich mehrere Stipendiaten des Künstlerhauses Büchsenhausen erarbeiten derzeit vielfältige Schwerpunkte zur jüngsten osteuropäischen Geschichte. Dass das Thema virulent ist, zeige sich auch in der Debatte um die Nobelpreisvergabe an Peter Handke: „Die Wunden sind noch nicht verheilt“, so die Bulgarin.
Baleva kann sich Kooperationen von Uni und Künstlerhaus Büchsenhausen sehr gut vorstellen. In universitären Ausstellungsräumen will sie in Zukunft auch selbst Ausstellungen veranstalten: Baleva betreut ab sofort die Kunstsammlung des Kunstgeschichte-Instituts, die nach 1945 mit Schenkungen von Privatpersonen initiiert wurde. Aktuell hängen Werke der Sammlung unter dem Motto „Schönheit vor Weisheit“ im Ferdinandeum. Aber auch später sollen die Werke zu sehen sein: Auf dem Areal der Alten Chemie am Innrain wird ein Ausstellungsraum entstehen, verrät Baleva. Vor einigen Jahren waren die jährlichen Ausstellungen aufgrund von Ressourcenmangel eingestellt worden. Gleichzeitig übernimmt Baleva auch „Kunst im Gang“ von Bernhard Braun in der theologischen Fakultät. Baleva will dann auch die derzeit diskutierten Themen der Gegenwartskunst anpacken, etwa wie die Klimakrise die Kunstszene in die Verantwortung nehme. Wann es losgeht, wird erst beschlossen. Es bleibt einiges zu tun für die Neue.