Gewaltopfer in Innsbrucker Klinik: Drei Fragen, große Wirkung
Über ein Viertel aller Patienten der Innsbrucker Klinik sind Opfer von Gewalt. Um diese früher erkennen und ihnen besser helfen zu können, wird seit Kurzem ein neues Verfahren angewandt.
Von Benedikt Mair
Innsbruck –„Weiß jemand, dass Sie hier sind?“, „Soll jemand nicht wissen, dass Sie hier sind?“ und schließlich „Gibt es jemanden, der Ihnen Unbehagen bereitet oder Angst macht?“ – drei Fragen, mit denen die Innsbrucker Klinik hofft, Opfer von Gewalt künftig früher zu erkennen und ihnen dadurch besser helfen zu können. Seit April dieses Jahres wird das Verfahren an der Inneren Notaufnahme getestet. Mit Erfolg, wie Vertreter der Opferschutzgruppe und der Klinik-Leitung gestern erklärten. Zusätzlich sollen die Mitarbeiter in allen Abteilungen künftig besser geschult werden.
„Krankenhäuser sind zentrale Anlaufstellen für Opfer von häuslicher Gewalt“, erläuterte Thomas Beck, Psychologe und Leiter der Opferschutzgruppe. Das zeige auch eine Studie, die bereits vor zwei Jahren vorgestellt wurde. Demnach sind 26,3 Prozent aller Patienten der Klinik Innsbruck Opfer von Gewalt – Männer und Frauen gleichermaßen. Eine andere Umfrage zeige, dass nur 4,4 Prozent der Patienten nach möglicher Gewalterfahrung befragt wurden, fast drei Viertel und besonders Frauen sich aber genau das wünschen würden, sagt Beck.
Mit den drei Fragen zur „psychosozialen Lebenssituation“ will die Klinik laut Beck die knapp fünf Prozent der Patienten, die gefragt wurden, ob ihnen Gewalt angetan wird oder wurde, „etwas in die Höhe kriegen“. Wie der Psychologe weiß, sei es wichtig, Opfer frühzeitig zu erkennen, um ihnen helfen zu können, denn es gebe eine ganze Palette an Folgeerkrankungen, an denen Gewaltopfer zu leiden drohten. „Und damit sind nicht nur sichtbare körperliche Verletzungen gemeint.“
Seit etwas mehr als einem halben Jahr wird das neue Verfahren also getestet, etwa 5000 Patienten sind in dieser Zeit befragt worden. Österreichweit ist die Innsbrucker Klinik das erste große Krankenhaus mit einem derartigen Routinetest. In den ersten 20 Wochen gaben 15 der Befragten Patienten an, Angst und Unbehagen erlebt zu haben, bei 21 durfte ein gewisser Mensch nicht über den Klinikaufenthalt Bescheid wissen. Und 262 Befragte führten an, dass es niemanden gebe, der über den Besuch der Ambulanz informiert sei.
Die Opferschutzgruppe, die sich auch das Ziel gesetzt hat, die Belegschaft für den Umgang mit Gewaltopfern zu sensibilisieren und sie besser zu schulen, gibt es seit dem Jahr 2013. 900 Mitarbeiter sind mittlerweile dahingehend ausgebildet worden, allein 250 Teilnehmer hatte das Fortbildungsprogramm heuer. Andrea Hohenegger ist Ambulanzleiterin in der Unfallchirurgie sowie stellvertretende Vorsitzende der Opferschutzgruppe und weiß: „Es ist wichtig, dass alle Mitarbeiter aus allen Bereichen den Umgang mit den Betroffenen lernen.“ Gewaltopfer müssten „erkannt und benannt werden“. Außerdem müsse den Mitarbeitern klar werden, dass diese Menschen aufgrund ihrer Historie „Hilfe nur schwer annehmen können. Das ist ein langer Prozess.“
Gewaltopfer zu erkennen und den Mitarbeitern zu vermitteln, sensibel mit ihnen umzugehen, sei das eine, meint Alexandra Kofler, ärztliche Direktorin der Klinik Innsbruck. Wichtig sei es aber auch, diesen Menschen nach ihrem Klinikaufenthalt Hilfe zu vermitteln. „Deshalb gibt es seit Kurzem eine Kooperation mit dem Gewaltschutzzentrum Tirol.“ Dessen Sozialarbeiter kämen in das Krankenhaus und würden bereits während des stationären Aufenthalts Beratungen anbieten.
Die Innsbrucker Klinik hat beim Thema Gewaltschutz bundesweit eine Vorreiterrolle inne. Unter Federführung der Opferschutzgruppe wird derzeit im Auftrag des Gesundheitsministeriums ein Konzept entwickelt, auf dessen Basis Krankenhäuser in ganz Österreich ähnliche Anlaufstellen schaffen können. „Patienten nach Gewalt zu fragen, darf kein Tabu mehr sein, sondern muss Routine werden“, sagt Thomas Beck.