Genmanipulation

Babys, die die Welt schockierten: Lulu und Nana werden ein Jahr

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Wenn ein Baby auf die Welt kommt, ist das üblicherweise ein freudiges Ereignis. Die Geburt der beiden Mädchen Lulu und Nana – deren Erbgut manipuliert worden war – versetzte der Welt aber einen Schock und ließ nicht nur Experten gruseln.

Von Anja Garms, dpa

Berlin – „Zwei wunderhübsche kleine chinesische Mädchen namens Lulu und Nana kamen vor einigen Wochen schreiend und so gesund wie andere Babys zur Welt.“ Mit diesen Worten und einem scheuen Lächeln auf dem Gesicht schockierte der chinesische Wissenschaftler He Jiankui am 25. November 2018 Fachwelt und Öffentlichkeit. Der Wissenschaftler hatte das Erbgut der mit künstlicher Befruchtung gezeugten Mädchen manipuliert, bevor er die Embryonen in die Gebärmutter der Mutter übertrug. Er hatte die ersten genmanipulierten Babys geschaffen. Ein absoluter Tabu-Bruch.

Ein Jahr später ist vollkommen unklar, wie es den Mädchen geht. He hatte ihr Erbgut mit Hilfe der Genschere Crispr/Cas9 so manipuliert, dass sie vor einer Ansteckung mit HIV geschützt sind. Chinas staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete seit Januar nicht mehr über den Fall. Damals hieß es lediglich, den Behörden sei die Identität der Kinder bekannt und sie blieben unter medizinischer Beobachtung. Gleiches galt für eine Frau, die mit einem dritten von He Jiankui veränderten Embryo schwanger war. Ob das Kind zur Welt kam, wurde nie mitgeteilt.

Der chinesische Forscher He Jiankui hat mit manipulierten Embryonen weltweit Empörung ausgelöst.
© AFP/Wallace

Verantwortlicher Biophysiker untergetaucht

Und was macht He Jiankui? Der Biophysiker ist aus der Öffentlichkeit verschwunden. Ein abschließender Bericht zu dem Fall steht noch immer aus. In einem vorläufigen Untersuchungsbericht der Regierung hieß es im Januar, He werde „entsprechend der Gesetze und Regularien bestraft“. Was das bedeutet, blieb offen – von einer Festnahme zumindest war nicht die Rede.

Die Universität in der südchinesischen Stadt Shenzhen, an der der Biophysiker forschte, hatte He kurz nach seiner Bekanntgabe gefeuert. Der Deutschen Presse-Agentur (dpa) teilte die Universität nun mit, nichts über seinen Aufenthaltsort zu wissen. „Er ist nicht mehr hier“, sagte ein Sprecher. Eine Gen-Firma in Shenzhen, die He im vergangenen Jahr noch als ihren Bevollmächtigten führte, änderte nach dem Wirbel um den Wissenschaftler ihren Namen. Auch dort sagte ein Mitarbeiter, ihm sei der Aufenthaltsort von He nicht bekannt: „Wissen sie vielleicht etwas, mich würde es auch sehr interessieren?“

Forschung in dem Bereich geht weiter

So mysteriös der Fall bleibt – die Forschung in dem Bereich geht weiter. In Labors rund um die Welt wird an einer Verbesserung der Technologie gearbeitet, auch mit dem Ziel, ihre Anwendung beim Menschen möglich zu machen.

Trotz der Forderung zahlreicher Forscher und Experten nach einem Moratorium, einem freiwilligen Verzicht auf derartige Manipulationen, ist es gerade mal einen Monat her, dass der russische Wissenschaftler Denis Rebrikow ankündigte, per vorgeburtlicher genetischer Manipulation erblich bedingte Taubheit heilen zu wollen. Im Juni hatte der Forscher von der Russischen Nationalen Forschungsmedizinischen Universität Pirogow zunächst verkündet, ähnlich wie He Babys so manipulieren zu wollen, dass sie vor einer Ansteckung mit HIV geschützt sind.

Ethische Aspekte zu diskutieren und international verbindliche Richtlinien zu etablieren, scheint also dringend geboten. Dafür brauche es eine breit angelegte Auseinandersetzung, sagte Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. „Das Thema muss aus der Fachdebatte in die gesellschaftliche Debatte. Das hat eine menschheitsgeschichtliche Dimension.“ Der Sachverständigenrat hatte im Mai eine Stellungnahme zu Keimbahneingriffen veröffentlicht – Eingriffen in das Erbgut von Nachkommen, die ihrerseits an die Nachkommen weitergegeben werden. Darin heißt es, solche Verfahren seien derzeit aufgrund der Risiken unzulässig, ethisch aber nicht grundsätzlich auszuschließen.

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WHO will klare Richtlinien

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat einen Expertenrat bestimmt, der Richtlinien für den Einsatz solcher Techniken erarbeiten und überwachen sowie den gesellschaftlichen Diskurs anregen soll. Außerdem baut die Behörde für mehr Transparenz ein Register für entsprechende klinische Studien auf. In Deutschland sind Eingriffe in die Keimbahn genau wie in den USA und vielen anderen Ländern bisher verboten.

Dabrock hält eine internationale Konferenz auf UN-Ebene ähnlich den UN-Klimakonferenzen für eine denkbare Strategie, um einen breiten Diskurs anzuregen.

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