„Hermannsschlacht“: Burg-Chef Kusej untersucht Nationalismus
Für seine „erste echte Arbeit hier als Chef“ hat Burgtheater-Direktor Martin Kusej einen hochpolitischen Stoff gewählt: Mit Heinrich von Kleists „Die Hermannsschlacht“ bringt er ein Werk auf die Bühne, das im Nationalsozialismus instrumentalisiert und 1982 von Claus Peymann „entnazifiziert“ wurde. Kusej legt den Fokus nun auf Themen wie Populismus und „Fake News“. Premiere ist am 28. November.
Kleists Cheruskerfürst Hermann sei „ein Bruder aller machiavellistischen Politiker, Lügner und Populisten, wie wir sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts allerorts vorfinden“, erläuterte Kusej am Freitagnachmittag bei einem Pressegespräch. „Ich bin ein sehr genaues Trüffelschwein“, so Kusej, „ich hole das raus, was für einen nachhaltigen Theaterabend wichtig ist“. Und so werde er sich - anders als Peymann 1982 - sehr eng an das 1809 geschriebene Original halten und keine wesentlichen Szenen streichen, um dem Stück eine andere Richtung zu geben. „Der deutsche Nationalismus kommt mir gerade recht“, so der Regisseur.
Kleists 1809 geschriebenes Drama handelt von der historischen Schlacht im Teutoburger Wald, wo die von Hermann angeführten Germanen die Römer besiegten. Im zeitlichen Kontext war es eine Reaktion auf die Niederlage Preußens gegen Napoleon. Die Uraufführung, die sich Kleist ausgerechnet am Wiener Burgtheater gewünscht hatte, ließ auf sich warten und fand erst 1839 in Deutschland statt.
1982 hatten Gert Voss als Cheruskerfürst und Kirsten Dene als dessen Frau Thusnelda am Schauspielhaus Bochum für Furore gesorgt. Die auch beim Berliner Theatertreffen gefeierte Inszenierung brachte Peymann schließlich ins Burgtheater mit. 37 Jahre später will sich Kusej, der Peymanns Inszenierung damals gesehen, sich aber „von der Rezeptionsgeschichte gelöst hat“, mit Markus Scheumann in der Titelrolle und Bibiana Beglau als Thusnelda erneut an den Stoff wagen, wobei sein Hermann kein Held ist, sondern an einen Politiker von heute erinnern soll. Peymann hatte Hermann damals noch als Freiheitskämpfer mit Che-Guevara-Baskenmütze gezeichnet.
Besonders stark zeigt sich Kusej von der „erkenntnishaften Lektüre“ von Barbara Vinkens Buch „Bestien: Kleist und die Deutschen“ beeinflusst, die eine „völlig neue Deutung“ geliefert habe. Klar könne man Hermann wie bei Peymann als Freiheitskämpfer sehen oder als nationalistischen Helden wie im Faschismus, aber tatsächlich seien die Mittel, die Hermann anwende, um sich gegen die römische Besatzung zu wenden, „genauso tyrannisch“ wie jene seiner Feinde. „Der Befreier wirft für die neue Freiheit Werte und Erkenntnisse des Humanismus und der Aufklärung über Bord, macht sie kaputt“, so Kusej. In diesem Sinne sei er „schlimmer als die Macht, von der er sich befreien will“. Hier habe man es mit einer „als Unterdrückung empfundenen Macht und kleinen nationalistischen Kräften zu tun, die mit der fortschrittlichen Macht nichts zu tun haben wollen“.
Der 51-jährige Markus Scheumann, der zuletzt in Zürich engagiert war, ist einer der Neuzugänge im Ensemble, zuletzt war er in Wajdi Mouawads „Vögel“ am Akademietheater zu sehen. „Als klassische Heldenfigur und Identifikationsfigur funktioniert Hermann heute nicht mehr“, so der Schauspieler. „Er bleibt eine Führerfigur, eine wendige Politikerfigur“. Im Stück schreckt Hermann auch nicht davor zurück, seine Frau Thusnelda und seine eigenen Kinder in das komplexe Geflecht von kriegerischen Manövern und populistischer Verbreitung von Aggression zu verwickeln. Für Bibiana Beglau, die die Thusnelda gibt, ist diese „eigentlich wie eine Karikatur gezeichnet“, wie sie sagt. Für sie ist Thusnelda jener Typus, der in einer Männerwelt „zu Staub zerfällt“. Parallelen sehe sie in der heutigen Gesellschaft, in der es einen „Rückschritt, ein Ruckeln nach hinten, zurück an den Herd“ gebe. „Auch heute sagen sich einige Frauen - vielleicht doch nicht in die erste Reihe“.
Kusej, der mit dem Ensemble Anfang Oktober im „For Forest“-Stadionwald in Klagenfurt vor 2.000 Besuchern eine öffentliche Leseprobe der „Hermannsschlacht“ abgehalten hat, nutzte die Gelegenheit auch, um ein positives Resümee der ersten Monate seit der Eröffnung zu ziehen. Man halte bei 84 Prozent Auslastung in Burgtheater, Akademietheater und Kasino, wobei das Kasino als Diskussionsraum erst etabliert werden müsse. „Ich habe das Gefühl, die Stadt war elektrisiert in den ersten Wochen. Jetzt sind wir sehr bemüht, dass wir das auf dem Niveau halten.“ Wer es übrigens nicht nach Wien schafft, der hat am 1. Dezember auf ORF III die Möglichkeit, die „Hermannsschlacht“ live-zeitversetzt auf ORF III zu verfolgen.
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