Causa BVT

BVT in Turbulenzen: Der Dienst ist geheim, die Zukunft offen

Verfassungsschutz neu: Deutsches Modell? Schweizer Modell? Experte Thomas Riegler hält einen echten Willen zur Reform für nötig.
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Minister Peschorn will die Grundlagen für eine Reform des Verfassungsschutzes legen. Sie muss mehr sein als nur das Tauschen von Türschildern.

Wien – Am 28. Februar 2018 rückten Mitarbeiter der Korruptionsstaatsanwaltschaft und der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität zur Razzia beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) aus. Seither kommt das BVT nicht aus den Schlagzeilen, zuletzt mit einem vernichtenden Bericht der internationale Geheimdienst-Vereinigung „Berner Club“ und der Überlegung, die Handys einer Journalistin und einer Abgeordneten zu beschlagnahmen.

„Reform“, lautet die Antwort von Innenminister Wolfgang Peschorn. „Reform“, lautete auch die Antwort seines freiheitlichen Vorgängers Herbert Kickl. Weniger einhellig ist die Antwort auf die Frage, wohin sich der Verfassungsschutz entwickeln soll.

Thomas Riegler beobachtet die Entwicklungen genau. Der Historiker hat sich auf die Nachrichten- und Geheimdienste dieser Welt spezialisiert. Ein Problem des österreichischen Verfasssungsschutzes sieht er – ähnlich wie beim Bundesheer – in einer unzureichenden finanziellen Dotierung. „Es wurde gespart, weil sich Österreich als neutraler Ort der Begegnung noch immer außen vor sieht“, meint er. Diese Annahme sei aber trügerisch.

Historiker und Geheimdienstexperte Thomas Riegler sieht keine Alternative zu einer umfassenden Reform des Verfassungsschutzes.
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Zweites großes Problem sind die Kontinuitäten. Statt echter Reformen seien in der Vergangenheit meist nur die Türschilder ausgetauscht worden. Dies sei auch 2002 nicht anders gewesen, als das BVT in seiner aktuellen Form geschaffen wurde. Jetzt freilich sei die Lage derart „unhaltbar“ geworden, dass eine echte Reform möglich sei.

BUCHTIPP Thomas Riegler, Österreichs geheime Dienste. Vom Dritten Mann bis zur BVT-Affäre. Klever Verlag, 328 Seiten, 26 Euro.

Kickl hat dabei das deutsche Modell im Auge gehabt. Die Nachrichtendienste unterliegen dort dem „Trennungsgebot“, erläutert Experte Riegler. Dies bedeutet, dass sich die Dienste auf das Beobachten und die Spionageabwehr beschränken. Alles andere ist Angelegenheit der Strafverfolgungsbehörden.

Das BVT hingegen ist kein reiner Nachrichtendienst, sondern hat auch polizeiliche Aufgaben. Für Riegler hat diese Mischform den Vorteil, dass alle notwendigen Befugnisse bei einer Behörde vereint seien: „Geheimdienste dagegen dürfen niemanden festnehmen. Sie sind dazu da, Informationen zu beschaffen.“

Der Nachteil der österreichischen Struktur sei, dass das BVT hierarchisch weit weg von der Politik angesiedelt sei. In Deutschland werden die Dienste direkt vom Kanzleramt aus koordiniert. Zudem fehlen hierzulande Kapazitäten und Befugnisse für echte Spionageabwehr. Die Kooperation mit „befreundeten“ Diensten wie denen aus dem „Berner Club“ könne diese Nachteile nur zum Teil kompensieren.

Kickl holte auch den früheren deutschen Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche als Experten. Mit Kickls Abgang aus dem Innenministerium waren aber auch dessen Reformideen zumindest vorerst Geschichte, auch die von ihm an der BVT-Spitze dort installierten „Geheimprojekte“. „Kickl ist es wohl in erster Linie darum gegangen, das ’schwarze’ BVT auf FPÖ-Linie zu bekommen“, glaubt Riegler.

Aber auch der Wahlsieger ÖVP will die Nachrichtendienste – neben dem BVT gibt es auch einen Inlands- und einen Auslandsdienst beim Bundesheer – neu organisieren und professionalisieren, wie es im Wahlprogramm heißt. Parteichef Sebastian Kurz sprach vom „Schweizer Vorbild“.

Riegler erläutert dieses Modell: Die Nachbarn hatten bis 2010 je einen für das In- und das Ausland zuständigen Dienst. Seither gibt es nur mehr den „Nachrichtendienst des Bundes“ (NdB), zuständig für klassische nachrichtendienstliche Aufgaben: Prävention und Bekämpfung von Terrorismus, Extremismus, Spionage, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie Cyberangriffen. In Österreich würde das bedeuten, das BVT mit dem Heeresnachrichtenamt zusammen zu legen.

Aber auch die Schweizer sind nicht alle Sorgen los. „Es zeigen sich ähnliche Probleme wie beim BVT“, meint Riegler. Auch der NdB habe seine Skandale: 2012 stahl ein Mitarbeiter Daten in großem Ausmaß, um sie zu Geld zu machen. 2017 flog in Frankfurt ein Schweizer Spion auf, der Steuerfahndern nachgespürt hatte, die gegen Schweizer Banken ermitteln.

Das Resümee des Experten: „Auch eine Strukturreform ist kein Allheilmittel.“ (sabl)

3 Fragen an Historiker und Geheimdienstexperte Thomas Riegler

Der Verfassungsschutz kommt nicht aus den Schlagzeilen. Was sind die Folgen?

Riegler:

Die Beschlagnahme von klassifizierten Daten – auch solchen von ausländischen Partnerdiensten – hat viel Porzellan zerschlagen. Auch wurden die Auswirkungen chronischer Mangelverwaltung offenbar. Dies stellt ein zunehmendes Risiko dar. Zuletzt hat der Präsident des deutschen Inlandsnachrichtendiensts gewarnt, dass so viel spioniert werde, wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. In Österreich wird das nicht anders sein.

Gibt es Alternativen zu einer Reform?

Riegler:

Die Zusammenarbeit mit europäischen Geheim- und Nachrichtendiensten kann viele Schwächen kompensieren. Seit der Razzia beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ist aber viel Sand im Getriebe. Dass nun sogar ein geheimer Prüfbericht der internationalen Dienste an die Medien geleakt wurde, dürfte dem Fass den Boden ausgeschlagen haben. Wer teilt vertrauliche Informationen, wenn er fürchten muss, dass sie an die Öffentlichkeit gelangen?

Woher rührt der Zustand des BVT?

Riegler:

Es hat noch nie einen breiten Konsens gegeben, den Status quo zu verändern. Sogar die Einrichtung BVT 2002 war fast nur ein Wechsel der Türschilder. Inzwischen ist die Situation aber so unhaltbar, dass sich tatsächlich etwas ändern könnte. In Österreich glauben zwar noch immer viele, als neutraler Ort der Begegnung außen vor zu sein. Aber Bomben können auch dort explodieren, wo der Kongress tanzt – vor allem in einer Zeit, in der die alten Regeln immer weniger gelten. (sabl)