Lange Schlangen bei Hongkonger Bezirkswahl
Vor dem Hintergrund der teils gewalttätigen Proteste in Hongkong haben in der chinesischen Sonderverwaltungszone Bezirkswahlen stattgefunden. Vor den Wahllokalen bildeten sich am Sonntag lange Schlangen. Nach Angaben der Regierung war die Wahlbeteiligung in den ersten zwei Stunden etwa drei Mal so hoch wie bei den vorherigen Bezirkswahlen vor vier Jahren.
Experten zufolge dürfte die Demokratiebewegung von der hohen Wahlbeteiligung profitieren. Die Auszählung der Stimmen beginnt direkt nach der Schließung der Wahllokale um 22.30 Uhr (15.30 Uhr MEZ). Erste Ergebnisse werden in der Nacht auf Montag (Ortszeit) erwartet.
Die Wahlen am Sonntag haben vor allem symbolische Bedeutung, da die Bezirksräte der Stadt nicht wirklich über politische Macht verfügen. Sie können keine Gesetze verabschieden oder selbst nennenswerte Entscheidungen treffen. Als Gremien beraten sie die Regierung und machen Vorschläge, wie sich die Lebensqualität in den Stadtteilen verbessern lässt.
Das bei der Wahl dominierende Lager erhält Sitze im 1.200-köpfigen Wahlkomitee, das alle fünf Jahre den Hongkonger Regierungschef wählt. In dem Gremium ist aber sichergestellt, dass am Ende stets der von Peking favorisierte Kandidat gewinnt.
Auch Hongkongs Parlament, der Legislativrat, wird nicht komplett frei gewählt. Nur 40 der Sitze werden nach dem allgemeinen freien Wahlrecht gewählt. Die übrigen 30 Sitze werden von Interessengruppen bestimmt, die in der Mehrzahl dem Pro-Peking-Lager angehören.
„Ich hoffe, dass diese Abstimmung unsere Stimme im Bezirksrat stärken kann“, sagte der 19-jährige Student Michael Ng, der zum ersten Mal zur Wahl ging, der Nachrichtenagentur AFP. „Auch wenn eine Abstimmung nur ein bisschen helfen kann, hoffe ich, dass sie der Gesellschaft Wandel bringen und die Straßenproteste auf gewisse Weise unterstützen kann.“
„Die Wahl ist die letzte Möglichkeit, unsere Meinung zu äußern. Die meisten Proteste wurden von der Regierung verboten“, sagte ein 26 Jahre alter Bankangestellter nach der Abgabe seiner Stimme. „Bei den letzten Wahlen gab es in unserem Bezirk nur Pro-Peking-Kandidaten. Dieses Mal war auch eine demokratische Kandidatin dabei. Es hat sich etwas geändert.“
Jason, ein 30 Jahre alter Freiberufler, wartete in der Schlange vor dem Wahllokal am Hongkonger Queen‘s College mehr als eine Stunde, bis er seine Stimme abgeben konnte: „Ich hätte auch noch länger gewartet. Wir wollen Demokratie und ein Ende der Polizeigewalt.“
Die Demokratiebewegung hatte ihre Anhänger im Voraus zur Stimmabgabe aufgerufen und für den Wahltag ein Aussetzen der Proteste gegen die pekingtreue Regierung angekündigt. Sie hofft auf eine hohe Wahlbeteiligung, um Hongkongs Regierung einen Denkzettel zu verpassen. In Einträgen im Online-Netzwerk LiHKG riefen prodemokratische Nutzer dazu auf, den Urnengang nicht zu gefährden. Größere Protestaktionen waren für Sonntag nicht geplant.
4,13 Millionen Bürger waren zu dem Urnengang zugelassen - fast 400.000 mehr als 2015. Vor den Wahllokalen und auf den Straßen der Stadt waren Polizisten stationiert, die Polizeipräsenz war aber nicht übermäßig stark. Auch Regierungschefin Carrie Lam gab ihre Stimme ab. Bisher beherrscht das treu und ergeben zur Führung in Peking stehende Regierungslager rund drei Viertel der Bezirksratsposten.
Gewählt werden 452 Stadträte in 18 Bezirken. Entsprechend des verworrenen, von Peking vorgegebenen Wahlsystems können Sitze im Stadtrat zu insgesamt 117 Stimmen im Wahlkomitee führen. Dieses wiederum bestimmt den Hongkonger Regierungschef.
In Hongkong kam es in den vergangenen zwei Wochen zu immer gewalttätigeren Zusammenstößen zwischen Polizei und radikalen Demonstranten. An den drei Tagen vor der Wahl blieb es allerdings ruhig in der Millionenmetropole.
Sie hoffe, dass die Stabilität der letzten Tage nicht nur mit den Wahlen zusammenhängt, sagte Regierungschefin Lam am Sonntag bei der Abgabe ihrer Stimme. „Ich hoffe, dass niemand mehr Chaos in Hongkong will und wir diese schwierigen Zeiten mit einem Neustart hinter uns lassen können.“
Die Proteste gegen die pekingtreue Regierung in Hongkong hatten im Juni begonnen. Sie richteten sich zunächst gegen ein geplantes Gesetz, das erstmals auch Auslieferungen aus der Sonderverwaltungszone nach Festland-China ermöglicht hätte. Inzwischen fordert die Protestbewegung umfassende demokratische Reformen und die Absetzung der prochinesischen Regierung in der Millionenmetropole. Bei den Protestaktionen gibt es immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften.
Seit der Rückgabe 1997 an China wird die frühere britische Kronkolonie nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“ unter chinesischer Souveränität autonom regiert. Die sieben Millionen Hongkonger genießen - anders als die Menschen in der kommunistischen Volksrepublik - viele Rechte wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit, um die sie jetzt aber fürchten.