„China Cables“ enthüllen Verfolgung von Uiguren
Geheime Dokumente der Kommunistischen Partei Chinas enthüllen die systematische Verfolgung der Uiguren und Anleitungen zur massenhaften Internierung der muslimischen Minderheit in Nordwestchina. Die „China Cables“ genannten Papiere veröffentlichte das Internationale Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ).
Die Papiere geben einen seltenen Einblick in die Unterdrückungsmaschinerie Chinas. Sie zeigen, dass die in Peking als „Weiterbildungseinrichtungen“ bezeichneten Lager in Wirklichkeit streng bewachte Einrichtungen zur kulturellen Assimilierung („Umerziehung“) sind. Auch widerlegen sie wiederholte Aussagen der chinesischen Regierung, wonach der Aufenthalt darin freiwillig sei.
Nach Schätzungen von Menschenrechtlern sind Hunderttausende bis eine Million Uiguren in solche Umerziehungslager gesteckt worden - in der Regel für mindestens ein Jahr, wie aus den geheimen Dokumenten hervorgeht. Die Unterlagen zeigen zudem, wie Uiguren gezielt überwacht und eine große Datenbank alle möglichen Informationen sammelt, um Verdächtige zu ermitteln. Im Ausland nutzt China seine Botschaften und Konsulate, um Uiguren zu bespitzeln. Wenn Verdächtigte wieder nach China einreisten, würden sie interniert.
Die Dokumente aus den Jahren 2017 und 2018 wurden dem Konsortium von Exil-Uiguren zugespielt. Weltweit haben mehr als 75 Journalisten von 17 Medien die Papiere ausgewertet, darunter die deutschen Sender NDR und WDR sowie die „Süddeutsche Zeitung“. Mehrere sind vom damaligen Vize-Parteichef in Xinjiang, Zhu Hailun, unterzeichnet. Die „China Cables“ zeichnen mit Regierungsunterlagen, die die „New York Times“ vor gut einer Woche veröffentlichte, das Bild eines Überwachungsstaates in Xinjiang.
Schätzungsweise elf Millionen Uiguren leben in China, die meisten in Xinjiang. Sie sind ethnisch mit den Türken verwandt und fühlen sich von den herrschenden Han-Chinesen wirtschaftlich, politisch und kulturell unterdrückt. Nach ihrer Machtübernahme 1949 hatten die Kommunisten unter Mao Zedong das frühere Ostturkestan China einverleibt. Die Regierung in Peking wirft uigurischen Gruppen Separatismus und Terrorismus vor.
Nach einem Aufstand, der 1990 blutig niedergeschlagen wurde, ebenso niedergeschlagene Massendemos und einem Bombenanschlag auf einen Bus 1997, stieg der Gewaltpegel vor allem ab 2007 bei Unruhen, Anschlägen und Operationen der Sicherheitskräfte bis 2013. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping verschärfte das Vorgehen gegen die Volksgruppe noch. Nach einem Terroranschlag 2014 mit 31 Toten in einem Bahnhof forderte der Präsident nach Angaben der „New York Times“ in einer bisher unveröffentlichten Rede, „im Kampf gegen Terrorismus, Infiltration und Separatismus“ die „Organe der Diktatur“ zu nutzen und „absolut keine Gnade zu zeigen“. Im Vorjahr bestätigte Peking dann die Existenz der Gefangenenlager und die engmaschige Überwachung in Xinjiang.
Zu den „China Cables“ gehören eine Anleitung zum Betrieb von Lagern, vier Bekanntmachungen zu der Überwachungsdatenbank sowie das Urteil gegen einen Uiguren. Auf Anfrage der „Süddeutschen Zeitung“ verwies die chinesische Botschaft in Berlin auf die bekannten Verlautbarungen, wonach es sich bei den Lagern um Maßnahmen zur „Terrorbekämpfung und Deradikalisierung sowie zur beruflichen Aus- und Weiterbildung“ handle.
In einer „Stellungnahme zur weiteren Verstärkung und Standardisierung von Erziehungs- und Ausbildungszentren für berufliche Fertigkeiten“ der Rechtskommission von Xinjiang von 2018 werden laut der „Süddeutschen Zeitung“ mehr als zwei Dutzend Regeln für den Betrieb der Lager aufgelistet. Unter anderem: „Es dürfen auf keinen Fall Ausbrüche vorkommen.“ Alle Zimmer und Gänge müssten streng abgesperrt werden.
Außerdem wird nach Angaben des Konsortiums dargelegt, wie Internierte beim Klogehen, Schlafen und Unterricht zu überwachen seien. Auch von „Züchtigung“ und „Methoden der zwangsweisen Indoktrination“ ist die Rede. Ein „Punktesystem“ gebe Strafen oder Belohnungen vor. Die Insassen dürfen den Dokumenten zufolge keine Mobiltelefone haben und keinen Kontakt zur Außenwelt unterhalten. Zudem sei es dem Lagerpersonal verboten, sich mit Insassen anzufreunden, um heimliche Absprachen zu vermeiden.
In vier Dokumenten von 2017 werde ausgeführt, wie Big Data einer „Integrationsplattform für gemeinsame Einsätze“ genutzt wird. In diese Überwachungsdatenbank fließen Informationen aus verschiedenen Quellen ein: Verhöre, Überwachungssoftware und Material der weitverbreiteten Überwachungskameras mit Gesichtserkennung. Die Plattform ermittle, wer verdächtig ist und wer nicht. Die „China Cables“ belegen auch, dass die Behörden in einer einzigen Woche im Juni 2017 insgesamt 15.638 Uiguren festgenommen und in Lager steckten.
Um die Datenbank zu füllen, werden auch Mitarbeiter in Dörfer und zu Familien geschickt, um herauszufinden, wie die Menschen über die alles beherrschende KP denken. Dazu sollen „Spezialgruppen (...) in die Haushalte eindringen, jede Person aufsuchen, sie befragen, Erkundigungen über sie einziehen und sie gründlich überprüfen“, zitiert der NDR.
Einwohner sollen in „Gefahrenkategorien“ eingeteilt werden: „Zu problematischen Personen, die sich an Ort und Stelle befinden, ist eine Rückmeldung über ergriffene Maßnahmen zu geben; zu problematischen Personen, die sich nicht an Ort und Stelle befinden, ist anzugeben, wo sie sich befinden, konkret, ob sie sich im Ausland, außerhalb von Xinjiang oder innerhalb von Xinjiang befinden, außerdem sind die Verwaltungs- und Kontrollmaßnahmen anzugeben, die gegen sie ergriffen wurden.“
Menschenrechtsorganisationen prangern die Unterdrückung der Uiguren seit langem an. Nach ihren Angaben sind mehr als eine Million Uiguren und Angehörige anderer muslimischer Minderheiten in den Umerziehungslagern inhaftiert, wo sie zur Aufgabe ihrer Religion, Kultur und Sprache gezwungen werden.
„Die ‚China Cables‘ räumen endgültig alle Zweifel an der Existenz der Internierungslager in Xinjiang aus“, sagte Gyde Jensen, Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages in Berlin. Entgegen allen Behauptungen aus Peking belegten sie „systematische Gewalt und Verfolgung“. „Peking muss sich gegenüber der internationalen Gemeinschaft für diesen kulturellen Genozid verantworten“, sagte die FDP-Politikerin. „Im Fall solcher schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen ist der Zeitpunkt erreicht, an dem Europa und die Bundesrepublik konkrete Sanktionen erwägen sollten.“
Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums meinte in einer Reaktion, es handle sich dabei um eine interne Angelegenheit Chinas. Ein stabiles und prosperierendes Xinjiang sei die beste Antwort auf die verleumderischen Berichte. Die britische Zeitung „The Guardian“ zitierte die chinesische Botschaft in London mit der Aussage, die veröffentlichten Dokumente seien „pure Erfindung und fake news“.