Zarfl legt Studien zur Pflege für neue Regierung vor
Sozialministerin Brigitte Zarfl hat am Montag zwei Studien zur Zukunft der Pflege in Österreich präsentiert. Unter anderem wurden darin die Aspekte der zukünftigen Finanzierung der Langzeitpflege und des Pflegepersonalbedarfs beleuchtet. Die Ergebnisse sollen der kommenden Regierung bzw. in den laufenden Koalitionsverhandlungen als Grundlage dienen.
Die Studie des IHS untersuchte die Pflegefinanzierung im europäischen Ländervergleich. Dafür wurden die Modelle von Dänemark, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Schweden und Spanien mit dem hiesigen hinsichtlich Systemcharakteristika, Mittelaufbringung und jüngsten Reformen gegenübergestellt. Dabei habe sich etwa gezeigt, dass die österreichische Regelung der Mittelaufbringung mittels Steuerfinanzierung ohne Zweckbindung durchaus im internationalen Trend liege, erklärte der Chef des Instituts für höhere Studien (IHS), Martin Kocher. Die Studie kommt ferner zum Ergebnis, dass eine Finanzierung ohne Einbindung der Sozialversicherung bei einem kontinentalen Wohlfahrtsstaatsmodell eher unüblich ist.
Kocher betonte aber dennoch, dass eine Umstellung auf ein Modell, das primär über Sozialversicherungsbeiträge finanziert wird, „nicht die optimale Lösung“ sei, da es sich negativ auf die Lohn- und Abgabenquote auswirken würde. Auch seien derartige Modelle stärker von konjunkturell bedingten Entwicklungen des Arbeitsmarktes abhängig. Die ÖVP hatte im vergangen Wahlkampf ein derartiges Modell aufs Tapet gebracht.
Sollte ein solches aber dennoch angedacht werden, müssten zwei Punkte beachtet werden, so IHS-Studienautorin Monika Riedel. Und zwar müsste zum einen verankert werden, welche konkreten Leistungen in die Zuständigkeit der Sozialversicherung übertragen werden. Derzeit liege die Kompetenz für Geldleistungen beim Bund, jene für Sachleistungen bei den Ländern. Zum anderen sollten neben dem Arbeitsmarkteinkommen auch andere Einkommensarten wie etwa Kapitalerträge - wie im internationalen Vergleich durchaus üblich - einbezogen werden. Damit würden etwaige negative Arbeitsmarkteffekte abgefedert werden.
Neben der Frage der Finanzierbarkeit, Österreich gibt derzeit zwischen 1,3 bis 1,9 Prozent des BIP für Pflege aus, wird sich mittel- bis langfristig auch das Problem eines steigenden Bedarfs an Betreuungspersonal ergeben. Eine Studie der „Gesundheit Österreich“ geht bis 2030 hierzulande von einem zusätzlichen Bedarf von 75.700 Kräften aus, erläuterte Studienautor Herwig Ostermann. Davon sind laut Prognose 41.800 diplomierte Pflegekräfte, 25.200 im Bereich Pflegeassistenz und 8.700 Heimhilfen. Da rund ein Drittel der Pflege- und Betreuungspersonen über 50 Jahre alt ist, ergibt sich allein aufgrund von Pensionierungen ein Bedarf von 41.500, die restlichen 34.200 sind auf den steigenden Zusatzbedarf aufgrund demographischer Faktoren zurückzuführen.
Die Studie geht von einem jährlich zu deckenden Jahresbedarf an Pflegefachkräften zwischen 3.900 und 6.700 Personen pro Jahr auf. Spätestens ab 2024 könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Bedarf mit Absolventinnen gedeckt werden könne, so Ostermann. Daher müssten schon jetzt Maßnahmen ergriffen werden.
Geht es nach der Sozialministerin, braucht es ein „Bündel an Aktivitäten“. Es müssten verstärkt Initiativen gesetzt werden, um Menschen für diese Berufe zu gewinnen. Gleichzeitig seien Maßnahmen nötig, um das Arbeitsumfeld so zu gestalten, dass diese möglichst lange und gesund im Beruf gehalten werden können.
Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich, begrüßte in einer Reaktion die im Auftrag der vorigen Bundesregierung durchgeführten Studien. Schließlich sorgten sie mit validen Daten für eine realistische Einschätzung des Pflegesektors und seiner Perspektiven. „Nun sollten wir aber schleunigst ins Tun kommen. Besonders im Bereich des Personals läuft uns in Österreich die Zeit davon“, so Anselm. Die künftige Bundesregierung müsse daher die Prioritäten entsprechend setzen.
Ähnlich die Arbeiterkammer: „Der steigende Handlungsdruck angesichts der drohenden Pflegemisere lässt ein weiteres Hinauszögern nicht mehr zu“, meinte AK-Präsidentin Renate Anderl in einer Aussendung. Etwa müssten die Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen verbessert und der Arbeitsdruck reduziert werden. Hinsichtlich der Finanzierbarkeit der Pflege setzt Anderl auf ein steuerfinanziertes System: „Denn eines muss klar sein: Solidarisch kann eine Finanzierung nur sein, wenn sie nicht jenen aufgebürdet wird, die im Erwerbsleben stehen.“ Zudem müsse ein langfristig tragfähiges Finanzierungssystem „breiter aufgestellt sein“. Diesbezüglich schweben der AK-Präsidentin eine Steuer auf große Vermögen und Erbschaften vor.
Die Wirtschaftskammer stimmte in den Tenor ein. Eine Pflegereform sei „dringend nötig“. Im Hinblick auf den bevorstehenden Mangel an Pflegepersonal verlangte WK-Generalsekretär Karlheinz Kopf eine höhere Durchlässigkeit in Pflegeberufen. Zudem müsse dieser Bereich „attraktiver“ gemacht werden, so Kopf. Ferner werde wichtig sein, den Grundsatz „daheim vor stationär“ zu forcieren, denn dies entspreche dem Wunsch der Betroffenen.