Zuerst ist die Betroffenheit groß, doch rasch verebbt sie
Für ein sicheres Verkehrsumfeld für Fußgänger und Radfahrer gibt es viele konkrete Ideen. Die Umsetzung geht vielen jedoch zu langsam.
Von Carmen Baumgartner-Pötz
Wien –Wenn Kinder bei Verkehrsunfällen ums Leben kommen, ist die Betroffenheit besonders groß und die mediale Aufmerksamkeit hoch. Das war etwa so, als Ende Jänner ein neunjähriger Bub in der Früh auf dem Schulweg in Wien-Landstraße von einem Lkw erfasst und getötet wurde. Am morgigen Montag hat ein anderer tragischer Unfall mit einem an ein Elektrofahrrad gekoppelten Anhänger sein gerichtliches Nachspiel: In Korneuburg müssen sich die 39 Jahre alte Mutter zweier getöteter Mädchen und ein Pkw-Lenker im Alter von 60 Jahren wegen fahrlässiger Tötung bzw. Körperverletzung verantworten. Die Kollision passierte im August auf einer Bundesstraße im Bezirk Korneuburg.
Laut Anklage ist der Frau, die das Rad lenkte, anzulasten, dass die Kinder keine Helme trugen, der Anhänger hatte keine oder nur unzureichende Lichter sowie keine Rückstrahler, die mindestens eineinhalb Meter hohe Fahne mit Wimpel fehlte ebenfalls. Der Wiener Lenker des Pkw übersah und erfasste das Gespann auf einem geraden Straßenabschnitt.
Christian Gratzer vom Verkehrsclub Österreich kann sich noch gut an die beiden Unfälle erinnern – und auch an die Berichterstattung, die sich im zweiten Fall mehr mit der Gefährlichkeit von Fahrradanhängern als mit der Hinterfragung bestehender Rad-Infrastruktur beschäftigt hat. „Leider ist in beiden Fällen zu wenig an konkreten Maßnahmen passiert“, analysiert er im Gespräch mit der Tiroler Tageszeitung. So sei der Unfall mit dem Fahrradanhänger beispielhaft für die mangelnde Radfahrer-Sicherheit abseits des Stadtgebiets. „Wir hinken im Vergleich zu anderen Ländern in den Regionen weit hinterher: Oft ist die einzige Verbindung von Siedlungen in den nächsten Ort die Freilandstraße, auf der Autos und Lkw mit hoher Geschwindigkeit unterwegs sind.“ Die Etablierung von sicherer Rad-Infrastruktur, wie sie in vielen Städten derzeit nach und nach geschaffen werde, müsse auch in ländlichen Gebieten fortgesetzt werden.
Generell könne man sagen, so Gratzers Befund, dass das Verkehrssystem in Österreich nicht kindgerecht gestaltet ist: Zu Fuß gehen, mit dem Rad fahren oder im Fahrradanhänger transportiert werden birgt schon allein aufgrund der Ge- setze der Physik die größere Gefahr. In der Stadt ist die Verkehrssicherheit höher, da die Geschwindigkeit niedriger ist. So ist in den letzten Jahren die Zahl der Tempo-30-Zonen stark gestiegen. „Das sollte im Ortsgebiet die Regel und nicht die Ausnahme sein“, regt Gratzer an. Seit vielen Jahren liegt außerdem die Forderung auf dem Tisch, das Halte- und Parkverbot vor Schutzwegen von fünf auf zehn Meter auszudehnen. „Die Politik ist hier ganz klar gefordert zu handeln“, sagt Gratzer.
Hanna Schwarz engagiert sich beim Wiener Verein „Geht doch“, einer Initiative für das Zufußgehen und den öffentlichen Raum. Ziel des Vereins ist es, aktive Mobilität zu fördern und sicherer zu machen. In Wien sterben laut Daten des Verkehrsressorts pro Jahr rund 20 Personen im Straßenverkehr. Davon sind die Hälfte Radfahrer oder Fußgänger. Auch Schwarz ist davon überzeugt, dass es einen Schulterschluss der Politik braucht, um ein sicheres Umfeld für alle Verkehrsteilnehmer zu schaffen. „Jedes Mal, wenn eine Straße saniert wird, sollte über eine Neu-Nutzung nachgedacht werden“, sagt Schwarz. Fahrverbote oder -einschränkungen rund um Schulen sieht sie als Puzzlestein für mehr Fußgänger-Sicherheit.
Nach dem Fall des verunglückten Buben am Schulweg setzte Wien zumindest restriktive Maßnahmen gegen Lkw ohne Abbiegeassistenten: Im Frühjahr 2020 soll ein Rechtsabbiegeverbot für alle Fahrzeuge über 7,5 Tonnen, die über kein entsprechendes System verfügen, in Kraft treten – ein De-facto-Fahrverbot für betroffene Gefährte.