32. Wien Modern: Abschluss mit Multiversum und Massenmord

Mit drei höchst unterschiedlichen Erstaufführungen hat das Neue-Musik-Festival Wien Modern am Samstag den Sack für heuer zu- und den Blick ins Universum aufgemacht. Schließlich etablierte Peter Eötvös‘ Orgelmonument „Multiversum“ im Konzerthaus einen letzten Höhepunkt nach 100 Veranstaltungen seit Ende Oktober. Gegenüber diesem Kosmos glichen die beiden weiteren Werke des Abends Sternschnuppen.

Bei Peter Eötvös beginnt das Universum mit den ersten Tönen von Bachs „Toccata“, die Iveta Apkalna, Porträtkünstlerin der laufenden Saison, an der größten Orgel Österreichs, jener des Großen Konzerthaussaales, intoniert. Was folgt, ist ein vielstimmiger Furor der in einzelne Gruppen fragmentierten Wiener Symphoniker unter Leo Hussain. Es türmen sich Klanggebilde zur Gebirgen, ein (Welt)raumklang entsteht um die Zuhörer herum, in dem Gustav Holsts „Planeten“ ebenso aufblitzen wie die kosmologischen Klangexperimente der 60er-Jahre. Dies ist nicht zuletzt der Hammondorgel zu verdanken, die der 75-jährige Eötvös bei seinem 2017 uraufgeführten Orgelkonzert dem klassischen Instrument gegenüberstellt - ein ungewohntes Klangbild der eruptiven, langen Orgelläufe.

Gleichsam das Gegenstück zur Eötvös‘schen Monumentalität stellte eingangs Mark Andres „über“ dar. Ein Windhauch aus der tonlos vom Komponistenkollegen Jörg Widmann intonierten Klarinette steht am Beginn und Ende des Geschehens, in dessen Verlaufen sich das Schließen der Klappen des Soloinstruments bereits als akustischer Reiz etabliert. Es entsteht eine eigene Fragilität gleich Wind, der durch Heidekraut streicht oder einer flachen Welle, die am Strand ausläuft. Die Symphoniker übernehmen immer wieder den Klang der Klarinette, kosten die Zwischenräume der Emotionalität aus. So entsteht ein Stück, das nirgends hin will, sondern in der Situation verharrt, im Moment lebt.

Zum Abschluss des Abends schloss sich dann der Kreis zur Eröffnung am 31. Oktober, als mit „4 Weiss“ bereits ein Werk des gebürtigen Oberösterreichers Peter Ablinger uraufgeführt und durchwachsen aufgenommen wurde. „Wachstum, Massenmord“ warf nun die Frage auf: Kann ein fünfminütiges Stück zu lang sein? Ja, lautet die Antwort - wenn seine Grundidee nach einer Minute erschöpft ist.

Der 60-jährige Ablinger hat die Klangwerte der beiden Titelworte en detail analysiert und lässt hinter dem Orchester in Dauerschleife die Silben WACHS-TUM und MASS-EN-MORD projizieren. Die Symphoniker spielen dem Sprechrhythmus angepasst, die dunkleren und helleren Vokale leicht imitierend. „Man hat das Gefühl: So etwas habe ich noch nie gehört“, hatte Festivalchef Bernhard Günther während der dialogischen Überbrückung der Umbaupause mit dem nur widerstrebend Auskunft gebenden Tonsetzer beschieden. Dem bleibt wohl nichts hinzuzufügen.