Welt-Aids-Tag: HIV-Infektionen trotz Aufklärung oft zu spät diagnostiziert
2018 gab es rund 400 HIV-Neuinfektionen in Österrreich. HIV-Infektionen vieler Frauen werden in Europa oft zu spät erkannt. Noch immer sterben weltweit 300 Kinder pro Tag an den Folgen.
Wien – 1981 tauchte der Begriff das erste Mal auf: Der „Morbidity and Mortality Weekly Report” des Centers for Disease Control and Preventionin Atlanta, USA, berichtet erstmalig über das „Acquired Immune Deficiency Syndrome” (AIDS). Die heutige Forschung zeigt allerdings, dass die Krankheit bereits viele Jahre früher unerkannt, wenn auch in kleinerem Umfang verbreitet war. Etwa ein Jahr darauf berichteten zuerst Ärzte des französischen Pasteur-Instituts und später Forscher am National Cancer Institute der USA von der Isolation eines Virus. Sie waren überzeugt: Dieses Virus ist die Ursache von Aids. Anfangs wurden noch verschiedene Namen verwendet. Als klar wurde, dass beide Forschungsgruppen das gleiche Virus entdeckt hatten, wurde es in Human Immunodeficiency Virus umbenannt – HIV.
Bis Mitte der 1990er-Jahre galt eine HIV-Infektion als Todesurteil – inzwischen bedeutet sie für den Infizierten ein fast normales Leben mit einer chronischen Krankheit. Doch noch immer sterben weltweit tausende an der Krankheit, darunter viele Kinder.
Frühe Diagnose entscheidend
Um die seit Jahren rückläufige Epidemie vollständig einzudämmen, ist eine frühe Diagnose entscheidend. Schließlich ist die Viruslast und damit das Ansteckungsrisiko für andere unmittelbar nach der Infektion am höchsten. Doch Europaweit ist fast jede zweite Human Immunodeficiency Virus-Diagnose (HIV) eine Spätdiagnose – wird also erst drei bis fünf Jahre nach der Ansteckung diagnostiziert. In Österreich fielen seit dem Jahr 2001 vier von zehn Diagnosen in diese Kategorie der „Late Presenter“, berichtete die Österreichische AIDS-Gesellschaft (ÖAG) anlässlich des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember. Das ist neben gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen insofern problematisch, als bis zu 50 Prozent der Neuinfektionen von Personen mit einer akuten HIV-Infektion ausgehen.
Die Lebensqualität und -erwartung von HIV-Infizierten ist bei einer Früherkennung heutzutage vergleichbar mit Personen ohne HIV. „Früher bedeutete eine Ansteckung unweigerlich den Tod. Heute ist es eine chronische Erkrankung, die gut behandelbar ist“, sagte Alexander Zoufaly, Präsident der ÖAG. Moderne antiretrovirale Therapien reduzieren die Viruslast bis unter die Nachweisgrenze. Damit wird nicht nur der Ausbruch von Aids auf Dauer verhindert, sondern auch die Übertragung von HIV auf sexuellem Weg ausgeschlossen.
HIV-Infektionen vieler Frauen in Europa zu spät erkannt
In der EU und in den Ländern des Europäischen Wirtschaftsraumes (EAA) wurden 2018 insgesamt 26.164 neue HIV-Infektionen registriert. 19.665 davon entfielen auf Männer und 6366 auf Frauen. 40 Prozent der Infektionen betrafen Männer, die Sex mit Männern hatten, 33 Prozent waren offenbar auf heterosexuelle Kontakte zurückzuführen. Vier Prozent der HIV-Neudiagnosen betrafen Drogenabhängige, bei einem Prozent kam es zur Übertragung des HI-Virus von der Mutter auf das Neugeborene. Im Durchschnitt betrug das Alter der neu entdeckten HIV-Positiven 41 Jahre. 14 Prozent der HIV-Positiven im EU/EEA-Raum wissen nicht, dass sie HIV-infiziert sind.
In Österreich gab es vergangenes Jahr 397 HIV-Diagnosen. Die Zahl der Menschen mit HIV/Aids dürfte bei 8000 bis 9000 liegen.
Neuansteckungen in östlichen Länder verdoppelt
Wie aus dem neuen HIV/Aids-Surveillance-Bericht von ECDC und WHO-Europa (53 Staaten inklusive Russland und z.B. zentralasiatische Länder) mit Daten des Jahres 2018 hervorgeht, machen Frauen rund ein Drittel der mehr als 141.500 neuen HIV-Diagnosen in der Region aus. Etwa vier Fünftel der neuinfizierten Frauen leben im östlichen Teil der WHO-Region Europa. Generell ging die Zahl der Aids-Fälle in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum demnach im vergangenen Jahrzehnt stetig zurück, während sie sich in östlicheren Ländern nahezu verdoppelt hat, sich zuletzt aber stabilisierte.
54 Prozent der bekannten HIV-Fälle unter Frauen seien erst in einem späten Stadium erkannt worden, erklärte das ECDC. Die Abdeckung mit HIV-Tests sei in der WHO-Region Europa noch immer relativ gering. Gleichzeitig deuteten diese Anteile an Spätdiagnosen auch darauf hin, dass HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten bei älteren Erwachsenen nicht ausreichend thematisiert würden.
„Bei Frauen wird HIV generell später diagnostiziert als bei Männern. Und umso älter sie sind, umso länger leben sie mit nicht diagnostiziertem HIV“, erklärte ECDC-Direktorin Andrea Ammon. Es erscheine so, als versagten die derzeitigen Systeme und Testbemühungen bei Frauen und älteren Erwachsenen.
300 Kinder und Jugendliche sterben täglich
Schätzungsweise 320 Mädchen und Buben pro Tag sind nach Angaben der UNICEF 2018 an den Folgen von Aids gestorben. Das waren 13 Todesfälle pro Stunde. Die Hauptursachen sieht die Kinderrechtsorganisation im anhaltend schlechten Zugang zu Aids-Medikamenten in vielen Ländern sowie zu geringen Anstrengungen bei der Prävention von HIV-Infektionen.
Lediglich 54 Prozent der infizierten Kinder unter 15 Jahren erhielten demnach eine Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten. „Die Welt steht vor großen Fortschritten im Kampf gegen HIV und Aids, aber wir dürfen uns auf den Lorbeeren nicht ausruhen“, erklärte UNICEF-Exekutivdirektorin Henrietta Fore anlässlich des bevorstehenden Welt-Aids-Tages. Programme zum Testen und zur Behandlung von HIV-Infektionen zu vernachlässigen bedeute für betroffene Kinder und Jugendlichen eine Frage von Leben und Tod.
Immer noch herrschen sehr große regionale Unterschiede bei der Versorgung und Behandlung HIV-infizierter Kinder, so die UNICEF. Während in Südasien mehr als 90 Prozent der betroffenen Mädchen und Buben Zugang zu medizinischer Behandlung hätten, seien es in West- und Zentralafrika nur 28 Prozent. Im Nahen Osten und Nordafrika erhalten 73 Prozent der infizierten Kinder und Jugendlichen Aids-Medikamente, im östlichen und südlichen Afrika sowie in Ostasien und der Pazifikregion sind es 61 Prozent und in Lateinamerika und der Karibik 46 Prozent.
2018 weltweit 160.000 Neuinfektionen bei Kindern
Große Fortschritte gebe es bei der Bekämpfung von HIV bei der Mutter-Kind-Übertragung, teilte die UNICEF mit. Weltweit hätten rund 82 Prozent aller infizierten Schwangeren Zugang zu antiretroviralen Medikamenten, die die Übertragung des Virus verhindern – vor zehn Jahren sei nicht einmal die Hälfte der betroffenen Frauen erreicht worden. Allerdings bestünden auch hier weiterhin große regionale Unterschiede, kritisierte die Kinderrechtsorganisation. Im südlichen Afrika liege der Anteil bei 92 Prozent, gefolgt von Lateinamerika (79 Prozent), West- und Zentralafrika (59 Prozent), Südasien (56 Prozent), Ostasien und Pazifik (55 Prozent) sowie dem Nahen Osten und Nordafrika (53 Prozent).
Weltweit infizierten sich im vergangenen Jahr 160.000 Kinder unter zehn Jahren mit HIV. Derzeit leben rund 1,1 Millionen Mädchen und Buben in dieser Altersgruppe mit dem Virus. Schätzungsweise 89.000 von ihnen steckten sich während der Schwangerschaft oder bei der Geburt an, 76.000 durch das Stillen. 140.000 Mädchen im Jugendalter infizierten sich im vergangenen Jahr mit HIV – im Vergleich zu 50.000 Buben. (APA, TT.com)