Walter-Borjans und Esken: Neue SPD-Führung gegen das Establishment
Mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken übernehmen die Kritiker der Großen Koalition die angeschlagene Partei. Für die Sozialdemokraten endet damit eine halbjährige Suche nach einer neuen Führung.
Berlin — Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken sollen künftig die deutschen Sozialdemokraten führen. Die Sieger des Mitgliederentscheids um den SPD-Vorsitz waren vor allem von den Jusos und aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen unterstützt worden — das Parteiestablishment hatte sich gegen den bisherigen Polit-Rentner und die Bundestagsabgeordnete gestellt.
Der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister und die Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg gewannen die Stichwahl des Mitgliederentscheids mit 53,06 Prozent der Stimmen. Esken und Walter-Borjans gelten als Vertreter des linken Parteiflügels. Sie wollen zwar keinen überstürzten Ausstieg aus der Großen Koalition. Sie wollen aber den Koalitionsvertrag neu verhandeln.
CDU/CSU: "Nicht mit uns"
Das Duo will schon auf dem Parteitag Ende der Woche in Berlin Forderungen - über den Koalitionsvertrag hinaus - an CDU und CSU festschreiben. Die überwiegende Antwort aus der Union darauf ist: Nicht mit uns. Esken und Walter-Borjans stimmten bereits am Samstagabend kritische Töne gegenüber der Großen Koalition an.
"Es passt zum Selbstzerstörungsmodus der SPD", kommentierte Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) das Ergebnis. Für die Union gelte: "Ruhe bewahren, aber standhaft bleiben", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Neuverhandlungen zum Koalitionsvertrag werde es nicht geben.
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte diese Linie schon vor der SPD-Entscheidung vorgeben. Der CDU-Wirtschaftsrat warnte vor Zugeständnissen. Man dürfe sich nicht "auf neue utopische Forderungen der Sozialdemokraten nur um des Machterhalts willen einlassen", sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger der Deutschen Presse-Agentur.
"Keine Hängepartie"
Die Wahl zweier Kritiker des Regierungsbündnisses an die Spitze sei "eine Entscheidung der SPD und wir nehmen diese zur Kenntnis", sagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) den Zeitungen der Funke Mediengruppe. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt stellte in der "Bild am Sonntag" klar: Der bestehende Koalitionsvertrag sei die Grundlage für die Zusammenarbeit.
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen rief die SPD auf, rasch Klarheit zu schaffen. "Eine andauernde Hängepartie wäre katastrophal für alle", sagte Röttgen den Funke-Zeitungen,
Einen überstürzten Ausstieg aus dem Bündnis streben Walter-Borjans und Esken nicht an. Sie planten auch "keinen Alleingang", sondern einen gemeinsamen Kurs mit der Bundestagsfraktion und den SPD-Ministern, sagte Esken am Samstagabend in der ARD. Den entscheidenden Antrag für den Parteitag wollen die SPD-Gremien am Dienstag und Donnerstag formulieren. (TT.com, dpa)
Norbert Walter-Borjans (67)
Der ehemalige nordrhein-westfälische Finanzminister gilt als "Robin Hood der Steuerzahler", seit er Daten potenzieller deutscher Steuerbetrüger in der Schweiz kaufte. Mehr als sieben Milliarden Euro holte er mit elf Steuer-CDs in die Staatskasse. In die Politik kam "Nowabo" 1984. Der damalige Ministerpräsident in NRW, Johannes Rau (SPD), holte ihn in die Staatskanzlei. Ab 1991 war er unter anderem stellvertretender Regierungssprecher und Wirtschaftsstaatssekretär.
In Köln heuerte der FC-Fan und Vater von vier Kindern 2006 als Wirtschaftsdezernent an. 2009 wurde Walter-Borjans zusätzlich Kämmerer. Die Kölner Finanznot machte ihn erfinderisch: Er entwickelte die Bettensteuer von fünf Prozent vom Übernachtungspreis.
Der promovierte Ökonom wurde 2010 für sieben Jahre Finanzminister in NRW. In dieser Zeit legte er sich gerne mit anderen an - nach dem Motto: "Finanzminister sind immer die Spaßverderber". Er verantwortete einen enormen Aufwuchs an Schulden in NRW. Nach dem Ende seiner Zeit als Minister schrieb er ein Buch über seinen Kampf gegen Steuerhinterziehung. Walter-Borjans stammt aus einer Handwerkerfamilie - der Vater war Schreiner, die Mutter Schneiderin.
Saskia Esken (58)
Esken sitzt seit 2013 im Bundestag, sie ist Expertin für Digitales - und setzt sich dafür ein, dass der digitale Wandel nicht nur Eliten nutzt, sondern alle Zugang dazu haben. Einer breiteren Öffentlichkeit war Esken vor ihrer Bewerbung für den SPD-Spitzenposten unbekannt. Gleiche Chancen und Gerechtigkeit gehören zu den Kernzielen des Mitglieds der Gruppe Parlamentarische Linke in der SPD-Fraktion.
Geboren in Stuttgart, aufgewachsen im Kreis Böblingen, wurde sie vom sozialen und politischen Engagement ihrer Eltern geprägt. Sie arbeitete zunächst unter anderem in der Gastronomie, als Fahrerin und Schreibkraft. Später schloss sie eine Ausbildung zur Informatikerin ab und entwickelte Software. Erfahrungen sammelte sie im Landeselternbeirat, in der Politik auf Kommunal— und Kreisebene.
Engagiert ist Esken unter anderem gegen extreme Rechte - so hatte sie 2009 im baden-württembergischen Calw ein "Bündnis gegen Rechts" gegründet, weil die NPD erwogen hatte, ihre Landesgeschäftsstelle in dort einzurichten. Für eine umweltgerechte Sanierung von Müll-Deponien gründete sie vor Ort eine Bürgerinitiative mit.
In die SPD eingetreten ist Esken 1990. Sie hat drei Kinder und ist im Nordschwarzwald zu Hause, mag Waldspaziergänge, Musik und liest gern.