Brexit-Drama

Doch wieder harter Brexit? Johnson will nur kurze Übergangsphase

Der britische Premierminister Boris Johnson.
© APA/AFP/POOL/LEON NEAL

Wenn nach dem offiziellen Brexit und zum Ende der bereits vereinbarten Übergangsphase Ende 2020 kein Abkommen über die zukünftigen Beziehungen zwischen EU und Großbritannien gelingt, könnten die Briten doch noch krachend auf den Status eines normalen WTO-Handelspartners zurückgestuft werden. Und Experten zufolge ist ein Abkommen in dem kurzen Verhandlungszeitraum unmöglich.

London – Großbritanniens Premierminister Boris Johnson pocht auf den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit der EU bis Ende 2020. Nach seinem deutlichen Wahlsieg erhöht der konservative Politiker damit den Druck auf die EU. Ein harter Brexit ist plötzlich wieder auf dem Tisch, was Anleger an der Börse am Dienstag verunsicherte. Europapolitiker sind skeptisch. Sie halten die Zeit für nicht ausreichend.

Nach dem EU-Austritt, der für den 31. Jänner geplant ist, beginnt eine zunächst bis Ende 2020 befristete Übergangsphase. Danach ist das Land zwar nicht mehr offiziell in der Europäischen Union, wendet aber deren Regeln an – bis die Details der künftigen Beziehungen geklärt sind. Dabei wird es unter anderem um alle Regulierungen der Wirtschaft gehen, etwa den Umgang mit Finanzdienstleistungen, Zöllen, Staatshilfen für Unternehmen sowie Fischerei-Rechten.

Johnson will Übergangsphase nur bis Ende 2020

Die Frist Ende 2020 wurde bereits in dem von Johnsons Vorgängerin Theresa May ausverhandelten Austrittsabkommen festgelegt. Weil sich der Brexit nun aber um fast ein Jahr verzögert, gilt das Datum als zunehmend unrealistisch. Zudem sieht das Abkommen die Möglichkeit einer Verlängerung der Übergangsphase bis Ende 2022 vor, wenn die britische Regierung bis spätestens Juli 2021 einen entsprechenden Wunsch äußert.

Dem will Johnson nun einen Riegel vorschieben. Der Regierungschef wolle eine Frist Ende 2020, sagte ein Regierungsvertreter am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Eine Verlängerung solle gesetzlich ausgeschlossen werden. Über Johnsons Vorhaben hatten zuerst der Sender ITV und die Zeitungen The Times und Financial Times übereinstimmend berichtet. „Wir werden sicherstellen, dass wir rechtzeitig diesen Deal hinbekommen“, sagte Michael Gove, Johnsons rechte Hand im Kabinett, der BBC.

Abkommen in nur elf Monaten quasi unmöglich

Theoretisch haben beide Seiten also elf Monate Zeit. Die EU war bisher aber erst im März von Verhandlungen ausgegangen, so dass es dann nur zehn Monate wären. Eine Einigung müsste am Ende von London und der EU noch abgesegnet werden, inklusive den Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten.

„Ein umfassendes Abkommen mit sehr vielen Details wird man in dieser kurzen Zeit nicht verhandeln können“, sagte der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Europaparlament, David McAllister. Johnson riskiere damit wieder einen harten Brexit. Auch EU-Unterhändler Michel Barnier hatte bereits gewarnt, dass elf Monate nicht genug seien für ein umfassendes Abkommen. Die Labour-Opposition warnte ebenfalls, der Schritt erhöhe die Gefahr eines EU-Austritts ohne Anschlussabkommen und damit die Einführung von erheblichen Handelshindernissen.

Ohne Abkommen würden Briten Sonderstatus verlieren

Sollten sich beide Seiten nicht verständigen können und es tatsächlich keine Verlängerung der Übergangsphase geben, würde Großbritannien für europäische Staaten wie ein gewöhnlicher Partner der Welthandelsorganisation WTO behandelt. Das würde für Unternehmen neue Hürden und höhere Kosten mit sich bringen. An der Börse reagierten Anleger nervös auf die ins Spiel gebrachte Frist. Das Pfund sackte um 1,2 Prozent auf 1,3173 Dollar ab. „Damit ist das Risiko eines harten Brexit nur aufgeschoben, nicht aufgehoben“, sagte Commerzbank-Analystin Thu Lan Nguyen.

Die Zustimmung der britischen Abgeordneten zu dem Gesetz gilt als sicher. Seit dem überwältigenden Sieg Johnsons bei der Parlamentswahl vergangene Woche verfügt die Regierung über einen Vorsprung von 80 Mandaten vor allen anderen Parteien. Einem Bericht der „Times“ zufolge sollen aus dem Gesetzesentwurf auch Bekenntnisse zur Einhaltung von EU-Standards in Sachen Arbeitnehmerrechten gestrichen werden. Am Freitag soll das Unterhaus über das Brexit-Ausstiegsabkommen abstimmen, was angesichts der klaren Tory-Mehrheit als Formsache gilt.

USA und Großbritannien verhandeln offenbar bereits

Parallel zu den Verhandlungen mit Brüssel dürfte es auch Gespräche mit Washington geben. US-Präsident Donald Trump will ein „ambitioniertes“ Freihandelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich erreichen. Hier dürfte Johnson unter Druck stehen, laxere Vorgaben bei Lebensmitteln und anderen Agrarerzeugnissen zu akzeptieren. Das könnte aber wiederum die Verhandlungen mit der EU erschweren, die dann auf Maßnahmen zum Schutz europäischer Verbraucher drängen dürfte. In den Gesprächen mit der EU werden voraussichtlich auch Umwelt- und Arbeitsstandards eine wichtige Rolle spielen. (APA, Reuters, dpa)