Wien

Ballettakademie der Staatsoper: Kommission ortet Gefährdung von Kindern

Ballettschülerinnen bei Tanzübungen. (Symbolbild)
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Nach Bekanntwerden schwerer Missstände an der Ballettakademie der Wiener Staatsoper wurde im Frühjahr eine Sonderkommission eingesetzt. Deren Bericht liegt nun vor. Die Liste der festgestellten Mängel ist lang, die Vorwürfe schwer.

Wien – Die Sonderkommission zur Klärung der im Frühjahr aufgedeckten Missstände an der Ballettakademie der Wiener Staatsoper hat am Dienstag ihren Endbericht vorgelegt. Dieser verzeichnet zahlreiche Mängel auf allen Ebenen, kritisiert bisher erfolgte Maßnahmen als „Symptombekämpfung“ und fordert ein Gesamtkonzept für die Zukunft.

Kulturminister Alexander Schallenberg sieht „dringenden Handlungsbedarf“. Er will noch vor Weihnachten Gespräche mit den handelnden Personen führen. Die nun präsentierten Erkenntnisse und Empfehlungen der Sonderkommission würden „klare Handlungsfelder“ aufzeigen, „die es ehestmöglich und ohne Kompromisse aufzuarbeiten gilt“, so der Minister. Im Rahmen einer Pressekonferenz listete Kommissionsleiterin Susanne Reindl-Krauskopf, Vorständin des Instituts für Strafrecht und Kriminologie an der Uni Wien, die einzelnen Mängel detailliert auf und präsentierte zahlreiche Handlungsempfehlungen. Der anstehende Wechsel an der Spitze der Staatsoper sei eine Chance, die Ballettakademie „ins 21. Jahrhundert zu führen“.

Rauchen für die Figur

Einen Einblick in die Machtstrukturen und den Umgang mit den Schülerinnen und Schülern bot Reindl-Krauskopf mit einigen Beispielen: So sei Kindern etwa geraten worden, mit dem Rauchen anzufangen, um die Figur zu halten. In anderen Fällen seien Schüler mit Vornamen und Konfektionsgröße angesprochen worden. Die Vorwürfe betreffen einzelne Lehrpersonen über einen längeren Zeitraum. In dem 34 Seiten umfassenden Endbericht werden etwa mangelnde Strukturen in Bezug auf die Verantwortlichkeiten, unzureichende medizinisch-therapeutische Versorgung der Ballettschüler und fehlendes Problembewusstsein in Bezug auf Kinderschutz kritisiert.

„Eine Gefährdung des Kinderwohls“ sieht die Kommission in ihrem schriftlichen Bericht etwa durch „die unzureichend kontrollierte Gesamtbelastung der jungen Tänzer und Tänzerinnen, die sich aus Training, Proben, Auftritten, Wettbewerben und dem Schulbesuch ergeben. Erschwerend kommt das Fehlen einer weisungsfreien Kinderschutzbeauftragten hinzu“. Hier wird empfohlen, eine Datenbank zu implementieren, die es erlaube, eine Übersicht über die Leistungen und Belastungen der Schüler „auf Knopfdruck“ zu ermöglichen, um rasch Konsequenzen – wie etwa weniger Auftritte – ziehen zu können, um das Wohl der Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen.

Die Vorsitzende der Untersuchungskommission Susanne Reindl-Krauskopf.
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In Bezug auf die Kooperation mit dem Bundesgymnasium Wien III in der Boerhaavegasse 15 wurden ebenfalls Probleme festgestellt. So solle künftig etwa die Gewährleistung eines Schulabschlusses auch bei Ausscheiden aus der Ballettakademie garantiert werden. Dringend angeregt wurde die Überführung des seit Mitte der 1980er Jahre laufenden Schulversuches ins Regelschulwesen. Verbesserungspotenzial sieht man auch in der Koordination zwischen Schule und Ballettakademie in Bezug auf tänzerische Einsätze.

Staatsoper: Missverständliche Inhalte

Die Staatsoper wiederum ortet im Bericht „einige nicht mehr dem aktuellen Status entsprechende oder missverständliche Inhalte“. Als Sofortmaßnahme sei die Zahl der Auftritte der Schüler reduziert worden. Außerdem habe man die Kinderschutzorganisation „die Möwe“ zugezogen und eine Koordinationsstelle innerhalb der Staatsoper eingerichtet. Darüber hinaus wurde mit dem Schuljahr 2019/20 ein Verhaltenskodex nah dem Vorbild von „100% Sport“ eingeführt, in dem „die Grundsätze hinsichtlich des richtigen Umganges mit den Schülerinnen und Schülern der Ballettakademie festgelegt“ wurden. Dieser werde allen Mitarbeitern der Ballettakademie zur Kenntnis gebracht und von allen unterzeichnet. Geplant ist - ebenfalls in Zusammenarbeit mit „die Möwe“ - die Erstellung eines umfassenden Kinderschutzkonzeptes. Was die gesundheitlichen Kritikpunkte betrifft, wurde unter Mitwirkung der Organisation „Leistungssport Austria“ und der in der Ballettakademie tätigen Psychologinnen das neue Unterrichtsfach „Gesundheitsprogramm“ eingeführt.

Die gesetzten Schritte erweckten laut Prüfungskommission jedoch den „Eindruck, dass zwar an verschiedenen Punkten gearbeitet wird, es aber noch an einem nachvollziehbaren Gesamtkonzept fehlt“. Die Kommission fordert für die Zukunft eine „innovative Leitung“ der Ballettakademie, die auch „selbstständig tätig wird, wenn es um künftige Verbesserungen und Veränderungen geht“. Von politischer Seite wünscht man sich „ein klares Bekenntnis zur Neuausrichtung, und zwar nicht nur vom Kultur-, sondern auch vom Bildungsministerium“. Eine Chance sieht die Kommission im anstehenden Führungswechsel an der Oper. Die NEOS wünschen sich zusätzlich noch eine externe Begleitung und Überprüfung der Reformen, die SPÖ ein neues pädagogisches Gesamtkonzept.

Die Kommission war im April vom damaligen Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) eingesetzt worden. Insgesamt hat sie 16 Mal getagt und mit 24 Auskunftspersonen gesprochen. (APA)