Teil 19

Die gute Geschichte: Hospizgemeinschaft gibt den Tagen mehr Leben

Dankbar denkt Waltraud Lechner an die gemeinsame Zeit mit ihrer Freundin Marlene zurück.
© Renate Möllinger

Als Marlene erfuhr, dass sie bald sterben würde, wandte sie sich an die Hospizgemeinschaft. In der ehrenamtlichen Begleiterin Waltraud Lechner fand sie eine treue Freundin.

Innsbruck –Marlene war Bankangestellte, wuchs in einer Großfamilie auf, schon als Kind auf Selbstständigkeit getrimmt. Als alleinstehende und berufstätige Frau war sie es gewohnt, alles selbst in die Hand zu nehmen und niemandem zur Last zu fallen. Dann änderte sich alles. Die Diagnose: bösartiger Tumor im rechten Kieferbereich, nicht mehr lange zu leben. Während der Chemotherapie, während ihrer Zeit im Krankenhaus kontaktierte Marlene das dortige Hospizteam und lernte Waltraud Lechner kennen. Diese ist eine von 274 ehrenamtlichen Begleiterinnen und Begleitern der Hospiz-Gemeinschaft in Tirol.

Die beiden verbanden einige Gemeinsamkeiten. Sie hatten genügend Gesprächsstoff, konnten sich einander öffnen. Marlene lernte Waltraud, die sie auf ihrem letzten Weg begleitete, zu vertrauen und schätzen. Zusammen besichtigten sie das Hospizhaus, gingen anschließend einkaufen und hatten ihren Spaß. „Ich suche ein Kleid für die bevorstehende Hochzeit meines Patenkindes und gönne mir ein ganz besonders schönes“, sagte Marlene, die trotz ihrer schweren Krankheit am gesellschaftlichen Leben teilnehmen wollte.

Auch ihren 60. Geburtstag wollte sie noch planen. Ein Fest, bei dem sie unbedingt mit ihrer ganzen Familie einen Ausflug nach Gnadenwald mit einer Wallfahrt nach Absam unternehmen wollte, wo auch ihre Eltern vor vielen Jahren geheiratet haben. Der Tumor wurde in der Zwischenzeit sichtbar größer. Eine Operation war kein Thema mehr. Durch Medikamente hielten sich zumindest die Schmerzen für sie in Grenzen.

„Mit dem Fortschreiten meiner Erkrankung verspüre ich Unsicherheit und Angst“, zitiert Waltraud aus einem Brief, den ihr Marlene geschrieben hat. „Schweren Herzens trenne ich mich von meinem Auto, verkaufe meine Wohnung und ziehe zu meiner Schwester, wo ich herzlich aufgenommen werde. Waltraud findet mich bewundernswert. Ich bin froh, sie an meiner Seite zu haben.“ Nach dem Motto der Hospizbewegung „Nicht dem Leben mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben geben“ gönnte sich die Bankangestellte vier Wochen in einer onkologischen Reha, machte Ausflüge nach Meran, Bad Ischl, an den Chiemsee.

Im Kreise ihrer Familie feierte Marlene dann noch ihren runden Geburtstag. Der Tumor breitete sich weiter und weiter aus. Sie trug in letzter Zeit einen Hut und drapierte das passende Tuch über ihre entstellte Gesichtshälfte. Es ging ihr immer schlechter, sie zog ins Pflegeheim.

Aufgrund der fortschreitenden Erkrankung entschied sich Marlene schlussendlich für einen Hospizaufenthalt. „Welch ein Geschenk für mich“, schrieb Marlene voll Dankbarkeit in ihren letzten Zeilen an ihre Freundin Waltraud, bevor sie starb. „Ich empfinde hier Sicherheit, Trost und Dankbarkeit und bin froh für die Zeit mit dir.“ Waltraud Lechner liest den Brief auch noch heute oft und denkt dankbar zurück an die gemeinsamen Stunden. (TT)