Buch von Wiesinger als Schlag gegen Bildungspolitik
Mit dem Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer“ hat Lehrerin Susanne Wiesinger im Herbst 2018 eine Debatte über Auswirkungen des konservativen Islam an Schulen losgetreten, im Februar 2019 wurde sie Ombudsfrau im Bildungsressort. Von diesem Posten ist sie inzwischen freigestellt. Ihr neues Buch „Machtkampf im Ministerium“ sorgte für Verärgerung und ist ein Rundumschlag gegen die Bildungspolitik.
„Die Parteilinie scheint wichtiger zu sein als wirkliche Hilfe für die Schüler“, so Wiesingers Resümee nach einem Jahr als „Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte“, in dem sie sich im ganzen Land bei einer „Zuhörtour“ einen Überblick darüber verschaffen sollte, wie verbreitet Kultur- und Wertekonflikte in Österreichs Klassenzimmern sind. „Wie Parteipolitik unsere Schulen zerstört“ lautet denn auch der Untertitel des 240-seitigen Berichts, den die langjährige Wiener NMS-Lehrerin und SPÖ-Lehrergewerkschafterin gemeinsam mit „Addendum“-Redakteur Jan Thies verfasst hat.
Vor allem mit dem Kabinett im Bildungsministerium rechnet sie darin ab: An einer weisungsfreien und unabhängigen Ombudsstelle habe man dort - mit Ausnahme des Ministers - kein Interesse gehabt. Stattdessen sei sie bei ihrer Arbeit kontrolliert worden, Rückmeldungen aus der Schulpraxis seien - vor allem bei Kritik an von der ÖVP mitverantworteten Maßnahmen - im Ministerkabinett auf wenig Interesse gestoßen. „Meine Arbeit sollte ausschließlich die politischen Positionen der Volkspartei untermauern“, so ihr Eindruck.
Wiederholt habe sie deshalb den Job fast hingeschmissen. Weil sie nach rund 160 Gesprächsterminen ihren Abschlussbericht fertigstellen wollte, sei sie dem „Machtkampf im Ministerium“ zum Trotz geblieben. Der Bericht sei mittlerweile gedruckt, aber noch nicht präsentiert worden, wie Wiesinger der APA vom Verlag ausrichten ließ. Ihren Posten, der mit Februar ohnehin ausgelaufen wäre, ist Wiesinger nun bereits früher los. Das Bildungsministerium hat Wiesinger freigestellt. In einer Aussendung zeigte sich Ressortchef Faßmann noch vor Erscheinen des Buches „überrascht und verwundert“, den Vorwurf parteipolitischer Einflussnahme weist man in seinem Ressort zurück.
Doch nicht nur im Ministerium, in der gesamten Bildungspolitik steht nach Wiesingers Wahrnehmung das Parteiprogramm über der Problemlösung, vom Bund über die Bildungsdirektionen (früher Landesschulräte) bis zur Gewerkschaft. Vor allem im rot-grün regierten Wien würden Probleme im Zusammenhang mit Integration und konservativem Islam zugedeckt, aus Angst, damit der FPÖ in die Hände zu spielen.
Unterdessen verschärfen sich laut Wiesinger soziale und kulturelle Probleme in Österreichs Schulen, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität: Aus ihrem Jahr als Ombudsfrau berichtet sie von Schulen, an denen Sexualkunde und Unterricht zum Thema Holocaust wegen der sexual- bzw. judenfeindlichen Haltung muslimischer Schüler nicht möglich sei, wo wegen einer kulturell bedingten Verweigerung muslimischer Kinder und Jugendlicher keine Schulaktivitäten wie Skikurs oder Theaterbesuche mehr stattfänden und wo Burschen in ihrer Klasse die Einhaltung des Fastens im Ramadan kontrollierten.
Auch Sprachschwierigkeiten seien ein großes Thema: Lehrer und Direktoren hätten von Zuwandererkindern der zweiten und dritten Generation berichtet, die nicht genug Deutsch für einen Schulabschluss beherrschten. In fast allen Fächern müssten die Deutschanforderungen gesenkt werden, Förderangebote würden nicht angenommen, die Kommunikation mit den Eltern scheitere an kulturellen Unterschieden und Sprachschwierigkeiten. Viele dieser Kinder würden nie einen Abschluss machen, der Weg in die Mindestsicherung sei vorgezeichnet.
„In allen Bundesländern entscheiden Religion, Kultur und Migration darüber, ob ein normaler Unterricht möglich ist“, schreibt Wiesinger, und das nicht nur an Wiener Brennpunktschulen. Volksschulen und Neue Mittelschulen in den Bundesländern, die überwiegend von Kindern mit Migrationshintergrund und aus sozial schwachen Familien besucht werden, seien mittlerweile ebenso betroffen wie immer mehr Wiener AHS. „In unseren Klassenzimmern spielt sich eine bildungspolitische Katastrophe ab.“
Offen darüber geredet werde allerdings kaum, beklagt Wiesinger. Linke Lehrer würden befürchten, der Islamfeindlichkeit bezichtigt zu werden. Schulleiter hätten Angst davor, dass ihnen von der Schulaufsicht als Strafmaßnahme „die unfähigsten Lehrer und die verhaltensauffälligsten Schüler“ von der Schulaufsicht zugewiesen werden könnten.
An den Schluss ihres Buches stellt Wiesinger zehn Empfehlungen, von einem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr und einer besseren sozialen Durchmischung der Schulen über einen Bürokratieabbau und eine realitätsnahe Lehreraus- und -fortbildung bis hin zu Sanktionen für Schüler bei Fehlverhalten und Geldstrafen für Eltern, die etwa bei Fehlstunden oder Gewalt ihrer Kinder die Zusammenarbeit mit der Schule verweigern.